Im White Wedding direkt am U-Bahnhof Osloer Straße war ich mit Tarik Günonoglu verabredet. Es war an der Zeit, den roten Nebel zu bekämpfen. Es war an der Zeit, endlich wieder aktiv zu werden. 
Tarik war einer dieser Typen, die immer gut informiert waren und gegen ein wenig Bares ihr Wissen auch gerne teilten. Dafür aber musste man auf seine Bedingungen eingehen. Das Treffen im White Wedding sollte um 3 Uhr in der Früh stattfinden. „Dann oder nie“, hatte er mir geschrieben. Was hätte ich tun sollen?
Außer meine Zeit totzuschlagen. Gegen Mitternacht verließ ich das Haus, spazierte die Wollankstraße runter, spazierte über die Osloer in Richtung Koloniestraße, bog aber auf die Panke-Promenade. Seit Stunden hatte es geregnet. Ein Blitz beleuchtete die Panke, ein weiterer Blitz ermöglichte mir den Blick auf den Affenkäfig der Gebrüder Boateng. 
Ich stellte die Kragen meines Mantels noch ein Stück weiter auf, zog die Schultern hoch. Regendurchtränkt erreichte ich die Badstraße. Hier herrschte noch geschäftiges Treiben. In einem Spätkauf nahm ich ein Bier, und wärmte mich ein wenig auf. Ein paar Studenten deckten sich mit Trägern für Studentenpartys ein, die alten Trinker legten zwei, drei Zigaretten zu ihren Flachmänner, aufgeregte Drogendealer brüllten Anweisungen in ihr Handy, während sie ihre Marlboro bestellten.
Ich blätterte mich durch die Boulevardzeitungen. Die Kreuzworträtsel waren gelöst, die Sudoko-Kästchen ausgefüllt, die Seiten gelesen. Ich las sie noch einmal. Mario Götze hatte wieder für Schlagzeilen gesorgt. Diesmal waren es die Kompressionsstrümpfe. 
Er tat mir leid. Was war nur aus dem unendlich talentierten 18 Jahre alten Super-Mario geworden? Eine von zynischen Marketingexperten fremdgesteuerte Maschine, die seit Monaten auf den Abgrund zusteuerte. Er tat mir unendlich leid. Er war noch ein Kind. Ein sehr reiches Kind zwar, aber scheinbar war da niemand mehr, der auf einen der talentiertesten Spieler der Welt aufpasste. Sie wollten sein Geld. Sie wollten ihn melken, solange es noch was zu melken gab. 
Gegen 2 Uhr verließ ich den Spätkauf, spazierte das kurze Stück zur Ecke Prinzenallee. Der U-Bahn-Schacht spuckte immer mehr Studenten aus, die es allesamt weiter südlich, immer tiefer in den Wedding trieb. Ich blickte auf die Boatengs, die dem Regen trotzend auf die Kreuzung blickten. Ich war mir sicher, dass sie die Veränderungen an der Panke genau registrierten. Ein Stück weiter die Straße hoch, vergewisserte eine Litfaßsäule mir ihre Liebe.

Als ich kurz vor 3 im White Wedding aufschlug, war ich ganz allein. Aus den Lautsprechern plärrten die Rolling Stones, die Bedienung knallte mir ein Lübzer auf den Tisch und widmete sich wieder ihrem Handy. Das White Wedding war hell ausgeleuchtet. Ein paar Spielautomaten rauschten im Hintergrund.

Tarik wollte mir etwas über diese Facebook-Geschichte erzählen. Für kurze Zeit war es am vergangen Freitag unmöglich gewesen, von Facebook auf die Homepage der Dortmunder Borussia zu verlinken. Verschiedene Medien hatten über eine Attacke aus Gelsenkirchen spekuliert, doch das, so hatte mir Tarik bereits zu verstehen gegeben, entsprach nicht der Wahrheit.

Mit einer Kippe im Mund enterte Tarik das White Wedding, er blickte sich um, sah mich und steuerte erst einmal auf den Spielautomaten zu. Einige Münzen verschwanden im Automaten und waren nicht mehr gesehen. Ich stellte mich zu ihm, legte einen Umschlag auf den Tisch neben dem Automaten und Tarik redete.

Es stellte sich heraus, dass die Attacke, die keine war, von einem Berliner Dortmund-Fan gezielt gefahren worden war, um „denen mal zu zeigen, was er drauf hat“, erklärte mir Tarik. Wir setzten uns, Tarik berichtet, wie er mit dem Jungen in Kontakt stand. Der habe, so Tarik, einfach ein Zeichen setzen wollen. Es war die alte Geschichte von enttäuschter echter Liebe, Problemen mit der Tickethotline und dem eigenen Ego.

„Er hält sich für einen ziemlich ausgebufften Typen. Als es ihm dann nicht gelungen ist, an Karten für das Derby zu kommen, wollte er sich rächen. Ganz ehrlich: Es ist ihm gelungen.“

„Woher hast Du die Informationen?“

Tarik holte ein paar Dokumente raus. Ein kurzes Schreiben des Fans an die Facebook-Zentrale, indem es um Copyright-Verletzungen ging. „Hab ich direkt aus Hamburg. Die waren mir noch einen Gefallen schuldig.“ Aus den Dokumenten gingen ebenfalls zahlreiche Copyright-Verletzungen des Fans hervor, der mit dem Vorhaben gescheitert war, auf einer privaten Homepage Agentur-Bilder als seine eigenen Bilder zu verkaufen. Und sie gelöscht hatte, bevor jemand ihm auf die Schliche gekommen war. Doch da hatte er die Rechnung ohne Tarik gemacht.

Ich nahm das Papier an mich. Jetzt mussten der BVB und die Agenturen nur noch für die Informationen zahlen. Oder sollte ich mich an den Fan wenden und ihn erpressen? Ich war endlich wieder im schmierigen Ermittler-Geschäft.