„Wir sind aufgeflogen“, begrüßte mich Frank. „Müssen jetzt vorsichtiger agieren. Da kommt ein Ermittler gerade gelegen. Ich kann mir vorstellen, dass Deine Arbeitsweise jetzt genau richtig ist.“ Auf einem Klemmbrett hielt er mir einen Vertrag hin, ich überflog die Seiten und schaute nach der Summe. Auf der siebten Seite standen die magischen Zahlen. Sie waren ordentlich. Ich unterschrieb, ohne mir weiter Gedanken zu machen. Und so wurde ich am Ultrakiosk im Wedding V-Mann.
„Das ist gut“, rieb Frank sich die Hände. „Du wirst jetzt Kontakt mit Amok aufnehmen und auch Redermann an Bord holen müssen. Mach sonst einfach so weiter. Halte Dich bedeckt, schreib Deine, das wollte ich Dir sagen, brillanten DerSamstag!-Kommentare und kümmer Dich in den nächsten Wochen erst einmal um Transfers. Redermann und Amok sind näher dran. Die sollen Dich einfach weiter versorgen. Was ist geplant? Wer plant was? Wieso plant wer was? Wo plant wer was und wieso? Was nutzen die Planer wofür? Welche Form des Protests wird wo und zu welchem Zweck erwägt? Wer protestiert und plant dabei wo welche Anschläge auf das Allgemeinwohl?“
Ich war erstaunt. Der Typ war gut vorbereitet. Immerhin konnte er die W-Fragen stellen, immerhin konnte er sich tarnen. Sah im Soldiner Kiez wie ein fehlgeleiteter Mitte-Nerd aus, und trug im tiefen Wedding dann einen authentischen BSC Rehberge-Anzug. Der Mann hatte was drauf und die Zahlen und er und die Aussicht, wichtige Informationen an wichtige Menschen in wichtigen Positionen weiterzugeben, machte mich verdammt stolz. Er sah mich an, gab mir eine Durchschrift des Vertrags und seine Karte.
Endlich nahm die Sache Fahrt auf. Frank drückte mir zum Abschied eine Autogrammkarte aus den 90ern in die Hand. “Guter Mann”, kommentierte er und verschwand in Richtung Müllerstraße. Auf der Karte die langen, wehenden Haare des Leonardo Rodriguez. War das jetzt alles? „Hey, was soll das mit Leo?“ schrie ich ihm hinterher. „Der ist Dein Mann! Schreibt jetzt Kommentare für DerSamstag!“
Ich blickte auf Leo, erinnerte mich an seinen großen Auftritt im Leipziger Zentralstadion. Er war ein Versprechen auf eine bessere Zukunft. Er war der Grund, warum Lionel Messi überhaupt mit dem Fußball angefangen hatte, er war jetzt mein Mann. Ich rief Redermann an. „Leo ist dabei! Leo ist dabei! Leo ist dabei!“ „Beruhig Dich. Welcher Leo ist wo dabei?“ Da waren sie wieder: Die W-Fragen. Redermann war wie gemacht für den Job, von dem er laut Frank nie etwas erfahren sollte. Ich würde es ihm trotzdem erklären, irgendwann einmal.
Erst aber erzählte ich ihm von Leonardo Rodriguez. „Wie soll das gehen? Wann wird er schreiben? Wie oft?“ „Wie beim kicker. Einer von vielen Experten. Wir machen das Ding ganz groß. Ich habe einen Geldgeber gefunden.“ „Geil, trink Dir einen oder zwei.“ Das tat ich. Durch den Januar-Regen spazierte ich zum Soldiner Kiez. Am Jüdischen Krankenhaus vorbei. An der Osloer Straße vorbei. Es schauderte mich. Mit einmal war mir klar, was das alles zu bedeuten hatte.
Du kommst aus der Nordstadt und endest im Soldiner Kiez, dachte ich. Du willst Dich befreien und endest im Soldiner Kiez. Du willst Deinen Frieden finden und endest im Soldiner Kiez. Du willst die Ruhe der Großstadt und endest im Soldiner Kiez, dachte ich. Die Osloer Straße war definitiv der tristeste Ort dieser Stadt. Die Menschen waren farblos, meist komplett in grau gekleidet, ihre Regenschirme krümmten sich im Wind, die fahlen Lichter der U-Bahn Station leuchteten das Szenario aus und auf der anderen Seite residierten die Salafisten.