Wieder vereint. Redermann steuerte den Rolls Reus durch die Stadt. Wir schwiegen. Uns war gerade der größte Coup gelungen und im Radio redeten sie doch über die moralische Verkommenheit des Landes. “Das sind keine Neuigkeiten”, entwich es Redermann und zimmerte mit der Faust gegen das Radio. “Ey, lass dat Radio in Ruhe. Was kann das Radio für den Zustand dieses Landes?” “Alles! Ohne Radio kein Zustand, ohne Zeitung kein Zustand und ohne Fernsehen überhaupt kein Zustand. Da bekommste halt auch Zustände.” Redermann war in seinem Element. Er steuerte den Wagen in Richtung Potsdam. Mal was schönes sehen, hatte er gesagt.
Diese Tristesse der Hauptstadt deprimiere ihn zutiefst und schränke ihn in seinen Gedanken ein, erklärte er mir. Mir war bislang nie bewußt gewesen, dass Ernst so sensibel auf seine Umwelt reagierte. Aber so schien es nun einmal zu sein. Gegen Potsdam, gegen den Park konnte ich ohnehin nie etwas einwenden. Ich liebte die langen, im Winter meist menschenleeren Alleen dort. Die Vorstellung mit dem Rolls Reus über die Maulbeerallee zu fahren, versetze mich beinahe in Euphorie. Und so ging es weiter. Wir überquerten die Agentenbrücke und schwiegen weiter. Mir war nicht nach einer Geschichtsstunde. Entweder Redermann hatte davon gehört oder er hatte eben nicht davon gehört. Das machte ihn nicht zu einem besseren und auch nicht zu einem schlechteren Menschen. Immerhin, und das zählte in diesem Moment, war er ein begnadeter Autofahrer.
Die Leute blickten auf den Wagen, hin und wieder zückten sie eine Kamera und als wir den Wagen am Neuen Palais parkten, sprachen uns einige der Touristen drauf an. Redermann war nicht gesprächig, ich schwieg. Wir gingen in Richtung Palais und überlegten, ob wir den jetzt die Führung machen sollten oder nicht. Die dortige Dekadenz, erklärte ich Redermann, beruht noch auf echtem Blut. “Wenigstens waren sie ehrlich, wenigstens wußten sie von ihren Fehlern und nutzen sie gnadenlos aus. Sie mussten sich nicht rechtfertigen!” “Sag ich doch: Kriegste ja Zustände in diesem Land! Alles wird en Detail ausdiskutiert. Lass die alle mal machen. Mir ist nur mein Rolls Reus wichtig.”
Mein Handy klingelte. Piotr war an der Leitung. Eigentlich habe er Redermann sprechen wollen, der aber sei nicht erreichbar, sagte er. Ich legte ihm die Situation dar. Er war erfreut, dass wir wieder zusammengefunden hatten. “Gut, dass ihr beide wieder vereint seid. Folgendes: Ständig rufen hier Leute an und fragen nach dem Verantwortlichen. Am Anfang wußte ich nicht, wovon sie reden. Dann aber nannten sie Namen oder keine Namen. Sie wollten Namen. Und zwar vom Jugendtrainer, der Reus damals vom Hof gejagt hat. Könnt ihr mir den Namen liefern?” Ich überlegte nicht lang. “Piotr. Du machst mich wütend. Es ist egal, wer früher irgendwo Trainer war. Wir denunzieren hier niemanden. Reus ist zurück. Und, wenn ich das richtig überblicke, wird er nicht der letzte Heimkehrer sein. Aber Namen aus der Vergangenheit werden wir nicht liefern. Wir machen bei der Geschichte nicht mit.” Wutschnaubend legte ich auf. “Piotr?”, fragte Redermann. Ich nickte.