Manchmal möchte ich Redermann sein. Während er es sich im schönen Siegerland auf der Tribüne bequem macht, sitze ich in der Kneipe und rede mit der Wirtin. Mittlerweile gibt sie sich mit der Musikauswahl nicht mal mehr Mühe. Wir hören eines dieser Hitradios mit den besten Hits der letzten 50 Jahre. Gerade läuft Tony Carey mit Room With A View. Die Wirtin schaut gedankenverloren durch die Gegend. Mir graut es vor ihrem absurden Musikgeschmack. Sie sagt: “Tony Carey ist der wahre Grund”. Ich habe keine Ahnung, was sie überhaupt meint.

Vielleicht steckt Tony Carey hinter der Kneipe. Er soll jetzt irgendwo in Deutschland wohnen. “Ob ich ihn mal einlade?” fragt sie mich, während sie “and he used to be a leader, when he had someone to lead, and he used to be a father, when he had some mouths to feed” summt. Mir kommt es hoch. Schnell noch ein Bier. Da erreicht mich auch schon die SMS von Redermann. “Nie wieder Testspiele!” Vielleicht der Aufmacher für die neue “Der Samstag!”-Ausgabe? Eher nicht. Aber immerhin delievered Redermann hier ordentlichen Stoff. Wenig später stellt sich raus, dass der Dortmunder Umlandanhang es sich nicht hat nehmen lassen, gepflegte Hassgesänge in Richtung der Sportfreunde aus Siegen zu richten und dabei im Block eine Humba zu tanzen. Mir ist nicht ganz klar, warum und auch worüber sich Redermann aufregt. Mit großer Freude erinnere ich mich an die großkotzigen Gesänge der ausgehenden 90er. Damals standen wir auf der Tribüne und sangen voller Inbrunst “Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf” und waren damit nichts anderes als die Vorreiter der Nachunsdiesinnflutmentalität, die wir in der Folge dann natürlich kritisierten. “Gebrannte Kinder, wir sind doch gebrannte Kinder!” Amok und Redermann sahen es so, ich nicht. Wir haben die Humba in Siegen mit unserem Verhalten doch erst ermöglicht.

“Mach die Scheiße aus!” raune ich der Wirtin zu, als das Hitradio erst das unsägliche “The One And Only” vom gottlob längst vergessenen Chesney Hawkes und danach auch das musikalische Schwerverbrechen “Lemon Tree” in die endlose Schleife des Grauens aufnimmt. Wieder eine SMS von Redermann. “Nächste Mal bleib ich beim Methadon!” Ihn muss es hart getroffen haben, aber das ist alles nichts gegen diese verdammte Stumpfheit der Funkwellen, die mich seit Stunden belästig. Als wäre es nicht genug, beobachte ich in der hinteren Ecke der Kneipe ein mir bekanntes Gesicht. Reiser! Da ist er wieder. Lange genug war ich von ihm verschont geblieben. Doch der Fluchtgedanke ist noch nicht ganz zu Ende gedacht, da erhebt sich diese Drecksvisage und nimmt Kurs auf mich. “Dembowski, gibts Du Dir auch mal wieder die Ehre?” “Halt’s Maul!” raune ich ihn an. “Warum so unfreundlich? Läuft “Der Samstag!” nicht? Überraschend! Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf!” Ich stürze mein Bier und verlasse die Kneipe. Tony Carey, Chesney Hawkes, Fools Garden und Reiser. Das Quartett des Grauens.