Dass Grizzly Bears A Simple Answer sich zu einem weltweiten Radiohit (gehört in Rio, New York, Sydney, London und Berlin) entwickeln würde, hatte ich bereits vorher geahnt. Sölden wollte es mir damals zwar nicht wirklich abnehmen, doch in den letzten Tagen musste er seine Niederlage eingestehen. „Das mach ich gerne“, sagte er und bestellte noch eine Runde. Weihnachtsfeier bei Teenage Kicks PR. Noch hatte ich nichts geleistet, aber immerhin stand mir der Besuch der Weihnachtsfeier zu.
„Fantastisch! Du hast eine Spürnase. Du bist ein Ermittler“, sprach Sölden und doch wusste er, so hoffte ich zumindest, nichts von meinem Auftrag. In der Bar lief ein wilder Madchester-Mix. Bei I’m Free standen wir auf, bei Step On stürzte ich, rappelte mich wieder hoch, beim Intro von This Is How It Feels (To Be Lonely)* grölte der ganze Laden. „Die guten alten Zeiten! Damals als ich mit Burgess auf Promotour war. Das ging so…“ Dann erging sich Sölden wieder in detaillierter Schilderungen des Drogen- und Alkoholkonsums von Promotern. Die Geschichten waren austauschbar, meist wechselte nur der Protagonist. Sie hetzten von Stadt zu Stadt, rein in den Radiosender, schmierige Journalisten in Kleinstadtabsteigen, zahlreiche Toilettenbesuche und manchmal war sogar ein Groupie abgefallen. Die Musikindustrie, das wurde mir auf dieser Weihnachtsfeier von Teenage Kicks PR wieder einmal bewußt, war ein trostloses, rückwärtsgewandtes Geschäft. Zumindest bei Teenage Kicks PR. Ab 2001 klaffe in den Erzählungen Söldens eine große Lücke.
Als sie Fools Gold auflegten, verließ ich den Laden. Das ist Berlin nicht Madchester, dachte ich und spazierte die Schönhauser Allee hoch. Langsam ging es auf 3 Uhr zu, vielleicht würde ich oben an der Bornholmer noch einen Nachtbus bekommen, ansonsten würde ich die paar Meter in den Soldiner Kiez zu Fuß zurücklegen. Kamen mir Passanten entgegen, blickten sie mir direkt ins Gesicht, wendeten bald ihren Blick ab und tuschelten. Manchmal, dachte ich, blicken Menschen auf mich und halten mich für jemanden, den sie mal gesehen haben. Manchmal, dachte ich die Schönhauser in Richtung Bornholmer laufend, sehen die Leute in mir jemanden, der ich nicht bin. Manchmal, dachte ich jetzt unter dem Viadukt auf der Mittelpromenade laufend, bin ich zwar der Ermittler, doch die Menschen erkennen in mir den, dessen Existenz ich bereits Anfang der 00er-Jahre erfolgreich verdrängt hatte.
An der Bornholmer wartete der Bus, ich stieg ein, sprang an der Drontheimer Straße raus, ging in die Kolonie und versackte im Oldie-Eck. Ich brauchte dringend Ruhe, diese Paranoia machte mich noch verrückt.
* “Dembo, der Song heißt natürlich “This Is How It Feels” (to be lonely). Du musst noch einiges lernen, wenn das in der Musikbranche was werden soll, bei dir.” (Intro PvG Jury-Mitglied Prof. Dr. Christian Ihle) – Im Original stand dort: This Is How I Feel – nämlich beschissen.