Am meisten ging mir diese Marco Reus-Geschichte auf den Sack. Wie konnte eine ganze Menschheit mit verschlossen Augen durch die Welt laufen, ohne dass es zu Unfällen kam? (Das war natürlich auch erstaunlich!)
Aber warum verschlossen die Menschen ihre Augen vor der Wahrheit, die dort draußen lag wie ein von einem hastige aussteigenden Pendler, der, müde vom Tag, beinahe seinen Halt verpasste, vergessener Hut in der Ablage eines Nahverkehrszuges? Sie musste nur aufgesammelt werden. Und es war wieder einmal an mir, den Leuten ihren Dreck hinterher zu tragen.
Klar, kein Kronen vor Sonnenaufgang. Ich blieb hart! Und ohne Kronen sogar kurzzeitig nüchtern.
In diesen von Savoy Grand-Mastermind Graham Langley auf seinem nie veröffentlichten Solo-Album „Hearse Of The Year Show“ [Die Leichenwagen des Jahresrückblicks] so eindrucksvollen besungenen „Moments Of Clarity“, erreichten meine Gedanken auch nach jahrelangem Kronenkonsum eine erstaunliche Präzision, die es mir ermöglichte, zwischen Wahrheiten und Unwahrheiten nicht nur zu unterscheiden, sondern auch in den zielgerichtet gestreuten Unwahrheiten die Wahrheiten auszumachen.
Ich war Dembowski! Und ich war Legende!
Marco Reus also. Es verwunderte mich zusehends, dass niemand in den verzweifelten Angriffen Rummenigges, in den „er muss aber in der Bundesliga bleiben“-Klagegesängen, in der beschwörenden Abwehrhaltung Watzkes und den unzähligen Äußerungen sämtlicher europäischer Top-Vereine ein Schema ausmachen konnte.
Sie alle hatten Reus aufgegeben!
Nur Aki Watzke nicht. Denn der hatte längst einen Plan.
Wenn wir ihn nicht haben können, dann soll ihn niemand haben. Zumindest nicht in Europa. Und so kam es Watzke gerade recht, dass der Fußball mittlerweile zu einem weltweiten Milliardengeschäft geworden war, in dem es längst darum ging, mit ungewöhnlichen Aktionen langfristig Fans und somit natürlich auch Kunden zu gewinnen.
In den Jahren seit der Weltmeisterschaft 1994 hatte sich im einst brachliegenden US-Markt eine neue Profiliga entwickelt. Erst belächelte man sie, und verwies auf die Fort Lauderdale Strikers, auf New York Cosmos und kramte noch einmal Karl-Heinz Granitza hervor. Der Lünener Stürmer, der es in Chicago dereinst zu bescheidenem Ruhm gebracht hatte. 
Aber die Zeiten hatten sich geändert. Fußball war längst in den USA angekommen, und natürlich hatte dies auch mit Jürgen Klinsmann  zu tun, aber vor allen Dingen war es auf den großen Fußball-Boom zurückzuführen.
Längst war das geliebte Spiel der letzte verbliebene globale Sport, und somit auch ein Systemvergleich. Wer war besser, welcher Weg führte zum Erfolg. Wie fördern wir unseren Nachwuchs, und welche Arbeitskräfte importieren wir, und wer leistet wertvolle Aufbauarbeit jenseits der Landesgrenzen? Wer mehrt unseren Ruhm und welches Bild transportieren wir in die Welt? Das waren die Fragen, deren Antwort auch der Fußball gab, der ohnehin, von zahlreichen Korruptionsfällen geplagt, nichts weiter als ein Spiegelbild der Gesellschaft des frühen 21 Jahrhunderts war, und, noch besser!, weiterhin komplett westlich dominiert wird. Der Kolonialismus hatte sich verlagert, hier konnte man ihn noch offen bestaunen und von der Eroberung der Welt träumen!
Wie in der westlichen Geschichtsschreibung üblich begann es in England, und zog von dort in die Welt hinaus. Europa, Asien, Afrika, Australien, Südamerika sowieso. Die Spanier waren immer die ersten. Jetzt also Nordamerika, und nicht im Holger Osieck-Style.
Hier lagen die Millionen auf der Straße. Sie mussten nur aufgesammelt werden.
Doch noch fehlte ein Pionier. Jemand, der es wagte, die Grenzen zu durchbrechen. Und es fehlte ein Visionär, der dem Pionier diese zu durchbrechenden Grenzen aufzeigte.
Aki Watzke war der Visionär. Marco Reus war der Pionier.
Mit 25 Jahren war es Reus durch eine Verkettung zahlreicher Unglücke immer noch ohne großen Titel. Er war immer zum falschen Zeitpunkt am richtigen Ort. Das wollte er nun ändern. Reus träumte von Titeln, von einer glanzvollen Karriere, und davon, dass sein Name auf ewig nachhallen würde. In einer Spielgeneration, die mit den Protagonisten Cristiano Ronaldo und Lionel Messi niemanden nur annähernd de Chance ließ, nicht mit der Einschränkung „aber Ronaldo, aber Messi“ genannt zu werden, musste man ungewöhnliche Wege beschreiten.
Da kam dem Dortmunder Mittelfeldstar der Aufstieg des Fußballs in den USA gerade recht. Schon vor Monaten hatte es den ersten Kontakt zwischen der MLS und Reus gegeben. Man hatte sich geeinigt, nur der Verein stand noch nicht fest. Im Juni 2015 würde er den Sprung wagen.
Die MLS strebte eine globale Dominanz an. Nicht jetzt, und auch nicht in den nächsten fünf Jahren. Doch spätestens zur Weltmeisterschaft 2026 wollten die Amerikaner nicht nur eine ernstzunehmender Titelkandidat sein, nein, dann wollten sie am ersten Ziel ihrer Träume angekommen sein. Das erste nicht-europäische und nicht-südamerikanische Land mit einem Fußball-Weltmeistertitel auf dem Briefkopf.
Marco Reus würde der Ausgangspunkt dieser Entwicklung sein. Er lernte seit Monaten Spanisch. Das war nur auf dem ersten Blick verwirrend. Denn längst hatte die MLS ihre Augen auch auf den zerfallenden Markt in Mexiko gerichtet. Das Nachbarland zerfiel, doch die Fans waren zu wichtig, zu fanatisch, und zu bunt, um sie nicht in das Bild einer aufstrebenden Fußballnation einzubinden. Für 2016 planten beide Ligen einen gemeinsamen Cup. Es sollte nur der erste Schritt sein.
Marco Reus lernte auch Spanisch, um der „Mexican community“ in Chicago, in Los Angeles und New York von seinen Abenteuern, von seinen Plänen zu erzählen, und um bei den Gastspielen in Mexico das bescheidene, aber erfolgreiche Gesicht der MLS zu geben.
Dass Reus in den Staaten Titel sammeln würde, stand ohnehin außer Frage. Die Liga hatte ihm ein Team gespickt mit Stars versprochen, und sein Ausrüster Puma sich längst bereit erklärt, große Teile des Gehalts zu übernehmen. Reus würde das Gesicht des USA-Feldzugs werden, den der Ausrüster längst gestartet hatte.
In den letzten Monaten war Puma  gemeinsam mit Borussia Dortmund zahlreiche Partnerschaften mit unterklassigen US-Clubs eingegangen. Es war eine klassische Graswurzel-Kampagne. Der Ausrüster und der BVB gingen auf die Menschen zu, sie gewannen die Herzen der Menschen  und markierten ihre Landgewinne auf überdimensionierten Landkarten in den Schaltzentralen ihrer jeweiligen Macht.
Mit dem anstehenden Marco Reus-Wechsel, mit dem Sprung des gebürtigen Dortmunders, würden sowohl Puma als auch Dortmund mit einem Handstreich weite Teile der Staaten als Borussen-Gebiet markieren können. Was den Bayern mit großer Finanzkraft nicht gelungen war, würde dem BVB sofort gelingen. Aus gut informierten Kreisen hörte man, wenn man wollte, Umsatzzahlen, die weit über denen von Real Madrid, von Barcelona oder Manchester United lagen.

Wer eine Supermacht im europäischen Fußball werden wollte, musste ungewöhnliche Wege gehen, und manchmal sogar seinen besten und begehrtesten Spieler opfern. Noch verschleierten die Beteiligten diese aufziehende Weltsensation, doch ich hatte es längst erkannt, und ich war begeistert, wie detailliert, wie konzentriert,  und wie inspiriert der BVB weiter an dem Leuchtturm baute, der doch scheinbar vom Einsturz bedroht war, aber bald schon heller leuchten würde als alle anderen Leuchttürme der europäischen Fußballwelt.