Am Tag, an dem es nicht hell wurde, fuhr ich mit der U-Bahn das U8/U1/U9-Dreieck ab. Es hielt mich am Leben und in der U-Bahn gab es sowas wie Tageslicht nicht. Ich hatte mich mit den Frühausgaben der Zeitungen eingedeckt und las die spärlichen Berichte über das Unentschieden in Madrid. Sie schwangen wieder im Wind, der bereits am Wochenende gegen Augsburg wieder aus anderer Richtung kommen würde. Es war mir egal. In der U-Bahn blieb mir Zeit die Bettler und Touristen zu beobachten. Mehr war da nicht. Bettler und Touristen, und Schulkinder, die es mal wieder nicht ausgehalten hatten und auf dem Weg zum Alexa oder Zoo waren. Eine Melodie des Paris gefällig? Einmal die Motz und hier der Straßenfeger. Krass, der ist nicht mehr mein Freund, wenn der das sagt. Ich hab mich ganz normal verhalten, steck dem Ekel doch nicht die Zunge in den Hals.

Zwischen Kotti und Kurfürstenstraße die Erlösung. Ein Ghettoblaster, aus dem ein paar Beats knallten, darüber der weiche Rap eines 2.05m-Manns. „Ich geb niemals auf / ich steh wieder auf / hauen sie mir auf die Fresse drauf / das ist mein Lebenslauf.“ Ich blätterte noch einmal in der Zeitung, doch das Zitat eines Fußballers fand ich nicht mehr. Der hatte gesagt: „Ich lass mich erst gar nicht fallen, dann muss ich nicht aufstehen. Und so stehe ich auch zum Leben.“ Ich stand auf, und schlenderte das Verbindungsstück zwischen Kurfürstenstraße und Zoo. Langsam nahm das Weihnachtsgeschäft Fahrt auf, der Kudamm leuchtete so wie er halt leuchtet, wenn die Menschen in die Geschäfte gelockt werden müssen, um das beste Weihnachtsgeschäft aller Zeiten so langsam in Schwung zu bringen. 239€, so hieß es, würden die Deutschen im Schnitt für Weihnachtsgeschenke ausgeben. So viel Kohle hatte ich mit meinen letzten Aufträgen nicht einmal ansatzweise verdienen können. Und hatte es auch nicht vor. Es ging mir nie um die Kohle, immer nur darum, irgendwie und mit Anstand zu überleben.

Ich nahm mir ein Träger auf die Hand mit, stieg am Zoo wieder in den Schacht hinab und freute mich auf die letzten Meter Bahn, an diesem Tag, an dem es nicht hell wurde. Wie immer. An der Osloer raus. Seit meiner Rückkehr liebte ich es, beim Türken an der Bushaltestelle noch einen Tee zu nehmen, mir die im Regen wartenden anzuschauen und langsam das nie dagewesene Tageslicht gegen die vollkommene Dunkelheit des Novembers einzutauschen. Der November-Blues. Die Stärke der Bayern 2011. So würde es nicht kommen. Aber das war auch egal. Sollten sie ihren Weg gehen, wir würden unseren Weg gehen.

Davon las ich später auch im Internet. Mittlerweile hatten auch die englischen Medien reagiert. Dortmund, schrieben sie, sei ein ganz großer Favorit auf den Champions-League-Titel und überhaupt, verstieg sich ein Bericht, sei Borussia Dortmund aktuell die beste Mannschaft der Welt. Auch im Ausland hatten sie mittlerweile das DerSamstag!-Konzept kopiert, aber leider überhaupt nicht kapiert. Es ging nicht darum, Parolen in die Welt zu hauen, sondern Wahrheiten zu formulieren. Und, so sehr ich es mir auch wünschte, Dortmund würde nie die beste Mannschaft der Welt werden. Nicht jetzt und nicht in Zukunft.

Darum aber ging es auch überhaupt nicht. So ein Spiel wie das Madrid-Spiel trieb einen an den nervlichen Abgrund, und zerstörte jeden anderen Gedanken. Darum ging es beim Fußball und dann war es auch egal, ob da jetzt Madrid oder Oberhausen als Gegner auf dem Platz stand. Einen Verein konnte man sich nicht aussuchen, und ein Verein definierte sich nicht darüber, ob er aktuell die beste Mannschaft der Welt war. Natürlich war ich verdammt stolz darauf, dass Borussia nun wahrgenommen wurde, aber war das so wichtig. Außer für das Ego? Nein. Natürlich war die Art, wie der BVB gerade in der Champions League auftrat beeindruckend. Und natürlich freute ich mich darüber, Fan dieser Mannschaft, die ja darüberhinaus auch noch einigermaßen sympathisch war, zu sein. Aber ich würde auch noch Fan sein, wenn anstelle von Lewandowski wieder Harry Decheiver im Dortmunder Trikot auflief und wenn Manni Binz Mats Hummels als Abwehrchef ablösen würde. Der lange Weg hinab stand irgendwann bevor und auf dem ersten Gipfel der Champions League Welt stehend, war dieser Absturz vielleicht in weiter Ferne, aber immerhin bereits in Sichtweite. Was hochkommt, muss auch runterfallen. Dann musste man da sein.

So saß ich auf meinem Sofa, hörte Sun Kil Moon, schaute auf die vom Regen verwischten Lichter der vorbeieilenden Autos, schrieb Dörte eine Nachricht, dass im Endeffekt alles gut sei, trank mein Bier, rauchte meine Zigaretten, ging noch einmal runter, um ein wenig näher am Polizeieinsatz zu stehen und brauchte letztendlich nur noch einen Auftrag, um mein Glück perfekt zu machen. Ich hatte da bereits was im Auge.