Als die Hitze andauerte, die Flugzeuge im Minutentakt über die Wohnung hinweg steuerten und ich nur noch kopfschüttelnd verfolgen konnte, wie sich die erbosten Fans um Kopf und Kragen argumentierten, und die Dortmunder dabei auch die ausgestreckte Hand der Freiburger beiseite schlugen, blieb mir nur noch der Rückzug. Die Tasche für meine Reise war längst gepackt. So viel würde ich im Unterwasseraquarium auch nicht brauchen.
Die Schönholzer Heide, einer der ersten Vergnügungsparks Berlins, war bei meinem Eintreffen menschenleer. Ich blickte mich um, wählte einen Platz unter einer der Silberbirken und schaute in den Himmel. Ab und an sah ich auch dort die startenden Maschinen, doch reichte ihr Schall nicht mehr bis zu meinen Ohren. Ich war allein, ich war glücklich und einigermaßen aufgeregt. Die Saison hatte mir einiges gegeben, und auch wenn ich mich mit immer seltsameren Einfällen in eine Außenseiterposition manövriert hatte, so konnte ich mich ruhigen Gewissens auf die Zeit in Polen freuen.
Noch einmal dachte ich an den Jahreswechsel, den ich in einer jetzt ausgebrannten Wohnung auf der Beusselstraße verbringen musste, an den Finger, der langsam in meinem Eisfach verkümmerte und überhaupt an Komaroff, der mein großer Freund, zumindest mein großer Widersacher hätte werden können. Doch Komaroff war nach unserem letzten Aufeinandertreffen im Oldie-Eck und ziemlich zeitgleich mit der fantastischen Serie der Borussen aus meinem und wahrscheinlich, so vermutete ich, auch aus seinem Leben geschieden. Von ihm war nicht mehr als eine Wegmarke geblieben. So wie sich niemand mehr an die Schallattacken in Hoppenheim erinnern wollte, den Fans nun aber ihre Existenzrecht absprach, so war Komaroff auch aus den meisten Köpfen verschwunden.
Dann hatte es den Tag meines Aufeinandertreffens mit der fetten Qualle von Pankow gegeben. Doch auch sie interessierte mich nicht mehr. Sie war an ihren Spielautomaten versackt und stand jetzt vor einem Scherbenhaufen. Ihre Kneipe hatte erst gestern und also nach dem Mord in der Gottschalkstraße die Pforten geschlossen. Um mich herum war Tod und Verderben, war Sex und Gewalt. Und in mir drin war Liebe. Für den Buntspecht, der jetzt die Birke über mir bearbeitete und für die Spatzen, mit denen ich mir das Fladenbrot teilte. Aber auch für den Kolkraben, der einsam seine Kreise zog und mit meckernden Lauten auf sich aufmerksam machen wollte. Was ihm nicht gelang.
Wenn ein Jogger an mir vorbeizog, stand ich auf und applaudierte. „Bravo! Eine janz tolle Leistung!“, schrie ich dann anerkennend. Einige Jogger stoppten ab, wollten dem Ermittler die Hände schütteln und doch, bei allem Respekt vor dieser Ehrerbietung, verweigerte ich den Handschlag. Es war nicht an mir, meine Leistung zu überhöhen. Denn bei allem, was in der nächsten Zeit passieren würde, war ich mir sicher, waren auch einige Runterbringer dabei. Piotr würde mich auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Mein Größenwahn stand mir gut, aber eben auch nur in seiner Endlichkeit. Mit Demut ließ es sich um einiges besser hantieren. Und Demut würde nicht nur ich in der kommenden Spielzeit benötigen. Bis dahin aber würde noch ein wenig Wasser die Panke hinunterfließen und bis dahin aber, das hatte ich mir vorgenommen, würde ich mir einen ausnehmend guten Sommer bereiten.
Als über der Schönholzer Heide die Dämmerung einsetzte, räumte ich meinen Müll zusammen, fingerte die Zigarettenkippe von der Wiese, gönnte mir jetzt doch noch ein Bier und schlenderte ruhigen Schrittes entlang der S-Bahn in Richtung Verlängerte Koloniestraße. Hier oben war die Welt noch in Ordnung, erst nach den Werkstätten und erst nach den Kolonien zeigte sich der Soldiner Kiez von seiner stadtbekannten Seite. Ich liebte sie. Die Cafés ware noch gut besetzt, und sogar vor dem Oldie-Eck saßen noch ein paar Leute. Ich setzte mich an einen freien Tisch und blickte auf die Kreuzung Soldiner / Kolonie. Nach all den Jahren des Suchens war ich angekommen. Some people came here to die, I came here to live. Mark Olson war ein weiser Mann!