„Dembo! Hiermit lade ich Dich zum Essen ein. So sind wir Hamburger“, Schill war bester Laune.

Das kam so.

Der Ermittler hatte sich mal wieder so richtig weggeflankt. Die Anlässe wurden immer geringer. Ein 3:2 Sieg in Stuttgart. Mehr brauchte Dembowski nicht mehr. Am kurzen Ende der Nacht, kurz bevor er vom Barhocker stürzte, hatte er Bolle entdeckt. Endlich. Schill stand hinter der Theke.

„Mach ma lauta, Schill! Mach ma lauta!“

Schill drehte die Anlage auf. Es war vielleicht drei, vielleicht vier Uhr. Er war noch recht nüchtern. Der Ermittler hingegen bereits im Jenseits.

Das 3:2 in Stuttgart, die starke Leistung von Kagawa hatten ihm zugesetzt. „Das Offensiverlebnis Borussia“, hatte er es genannt, und sich auch mit Hagenberg-Scholz erst gar nicht auf eine „Je Suis Boyz Köln“-Diskussion einlassen wollen. „Das“, hatte Dembowski Hagenberg-Scholz ins Gesicht geschrien, „das klären wir später. Jetzt aber. Ohhh.. Ohhhh. Reus!“

Hagenberg-Scholz, der zusehend genervt von Dembowski war, hatte sich irgendwann verabschiedet. Der Ermittler ihm noch ein paar Mate-Flaschen und „viel Spaß am Taktiktisch“ hinterhergeworfen.

„Endlich ist der Typ weg. Immer korrekt, immer an einer gepflegten Diskussion interessiert, immer mit überraschenden taktischen Erkenntnissen, angelesen in Texten von Menschen, die noch nie ein Fußballstadion von innen gesehen haben. Dazu: Problemlöser für Probleme, die er erst in die Welt gesetzt hat. Was ein Vogel.“

„Dembowski, zum Glück gibt es auch noch Menschen, die nicht nur saufen, die hier einkehren, um Bekannte zu treffen, Fußball zu schauen. Was weiß ich. Die das hier aber nicht für ihren Lebensmittelpunkt halten, die ein Leben führen. Die etwas tun. Die Probleme lösen, weil es sie gibt.“


Aber Dembowski hatte Schill nicht gehört. Er stand an der Jukebox. Ein Kronen in der Hand, eine Ernte im Mund drückte er eine Warren Zevon-Folge. „Hasten Down The Wind“, „Werewolves of London“, „Roland The Headless Thompson Gunner“ und “Poor Poor Pitiful Me”.

“Zevon, 3 Punkte, Hagenberg-Scholz verjagt. Enjoy every sandwich, Schill“, hatte Dembowski gesagt und sich lang auf einen der Tische gelegt. Das Soldiner Eck hatte sich da schon geleert. Manchmal war jemand reingekommen, hatte sich an die Theke gesetzt, dann den Ermittler gesehen, und sofort – das Bier im Gehen stürzend – wieder verschwunden. Einer hatte sich an die Jukebox gewagt, doch da war Dembowski aufgesprungen. „Fischer und es knallt. Hier kommt jetzt Newman.“

Und schnell hatte der Ermittler eine Randy Newman-Folge gedrückt.  „It’s a Jungle Out There“, und dann schnell in die 70er. „Dayton, Ohio – 1903“,  „Birmingham“, und klar „I Think It’s Gonna Rain Today“.


Er hatte sich an nichts mehr erinnert. Nicht an den Sieg der Borussia, und an keine andere Sekunden seine Vergangenheit. Ihm waren die Tränen gekommen. „Lonely, lonely“, hatte er auf dem Tisch liegend geschluchzt, und Schill war darüber so verzweifelt, denn mittlerweile war es, wie gesagt, drei oder auch vier Uhr geworden, und Schill wollte diese Selbstdarsteller nicht mehr um sich haben.

„Dembowski, Kronen ist aus. Hau ab.“

Aber der Ermittler war nur aufgestanden und zur Jukebox gegangen. Und hatte Bolle entdeckt.

„Mach ma lauta, Schill! Mach ma lauta!“

Schill drehte die Anlage auf. Es war spät. Er war noch recht nüchtern. Der Ermittler hingegen bereits im Jenseits. Dembowski schmiss seine Kippe auf den Boden. Und ging zur Tür.

„Bei Schill jab’s keen Essen, bei Schill jab’s keen Bier, war allet uffjefressen von fremden Leuten hier. Nich’ ma’ ’ne Butterstulle hat man ihm reserviert! Aber dennoch hat sich Dembo janz köstlich amüsiert.“

Dann war er weg. Und am nächsten Morgen entdeckte Schill das Immobile-Interview. Beim BVB stimmte nix. Nicht einmal Einladungen zum Abendessen wurden ausgesprochen. Drama um die Diva. Schnell den Ermittler wecken, nicht, dass er nichts davon erfährt. Oder zu spät. Wie sollte er da mitreden. Es war 10 Uhr. Samstags. Jeder normale Mensch war da wache, Schill wach. Und Dembowski jetzt auch.

„Dembo! Hiermit lade ich Dich zum Essen ein. Der Hamburger Weg“, Schill war bester Laune.

„Wasn jetz schon wieder?“

„Komm rüber, gibt Fleischklöpse!“

Und natürlich ging Dembowski los. Seine Pläne für den Samstag waren wenig ausgereift. Ein paar Bierchen gegen den Kater, und dann mal schauen. Wahrscheinlich: Konferenz. HSV Joe war erst Sonntag.

Im Soldiner Eck, ein Kronen in Hand, eine Ernte im Mund, Wanda auf Anschlag aus den Boxen, las er das Immobile-Interview.

„Komische Truppe, oder Schill? Da stimmt nicht viel. Mickibile hat nicht funktioniert. Nicht einmal in der Kabine. Mhkitaryan definiert Formkrise jede Woche neu. Und Immobile ist immer nur Drama. Und die Geschichte mit Großkreutz und den Boyz. Der versteht auch nicht, dass er nicht der Mittäterschaft angeklagt ist, sondern dass es um die Fragezeichen geht, die seinen Weg pflastern. Immobile noch einmal. Immerhin sagt da mal jemand, dass nicht alles super ist. War doch alles super, es ging nur um die fehlende Vorbereitung. Die fehlende, die zerstörte Vorbereitung, der daraus resultierende Mangel an Fitness, an Eingespieltheit, an Systemtreue, das, hatte der Verein immer erzählt, sei der Grund für diese Krise gewesen,“ sagte Dembowski und Schill tischte Fleischklöpse auf.

Schill war enttäuscht. Er hatte mit einer anderen Reaktion Dembowskis gerechnet, und auch damit, dass der Kater ihn am Leben hinderte. Doch dem war nicht so.

Es ging auf die Konferenz zu, als Hagenberg-Scholz kam.

„Schon gelesen? Das Interview hat so nie stattgefunden, sagt der Verein!“

 „Wie naiv bist Du eigentlich?“ The return of Hasskappe. „Justin. Natürlich. Immobile hat das nie gesagt. Und wenn er es gesagt hat, dann war es natürlich nur in lockerer Atmosphäre und halb so wild.“

„Ja, davon habe ich auch gelesen. Die Medien verfälschen sowas doch recht schnell. Deswegen lese ich gerne auch Stellungnahmen von Fanklubs. Die Boyz, die Colonias. Die rücken die Geschichte letzte Woche doch in ein ganz anderes Licht. Die sind provoziert worden, und jetzt die Gießkanne. Niemand ist da mehr sicher. Wahrscheinlich dürfen wir bald nicht mehr zu Auswärtsspielen.“

„Ich guck nur Sky“

„Kunde! Du machst den Fußball kaputt. Aber wir aktiven Fans, wir leiden darunter. Wie werden für das Verhalten einzelner Fans bestraft, die wir nicht einmal kennen, die wahrscheinlich sogar als V-Mann eingeschleust wurden. Die Polizei will uns zerstören.“

„Schau mal, Justin.“

Und Hagenberg-Scholz schaute.

Von hinten zog ihm Schill die Beine weg. Dembowski schnappte sich seinen Kopf, und gemeinsam schmissen sie ihn aus dem Soldiner Eck.

Es war ohnehin spät. Die Bio-Läden würden bald schließen.

In der Sportschau bedankte sich Breitenreiter für das „tolle Erlebnis“ der 6:0 Niederlage, und verzückte Bundesliga-Fans aus aller Welt waren von der besten Liga der Welt begeistert. Boyz hin, Immobile her. Es war alles nur eine Frage der Perspektive.