Die Herausforderer
(berlin/27.02.2012) Sie sehen sich immer noch als die Herausforderer und sind doch längst der große Favorit auf den Titel! Es darf nicht enden, sagen die Fans auf der Tribüne. Die Mannschaft hält sich dran. Kein Gedanke mehr an die großen Abgesänge im September. Die Borussia aus Dortmund wurde vom schlechtesten Titelverteidiger aller Zeiten zum besten Titelverteidiger aller Zeiten. Zumindest jetzt. Doch noch gibt es 33 Punkte und 11 Spiele. Für die 11 Freunde auf dem Platz eine große Herausforderung.
Jeder Gegner ist der schwerste Gegner: Wenn Klopps Sprüche von der brutalen Qualität der Gegner sich auch wiederholen, sie sind wahr. Jeder Gegner hat seine Qualität, doch momentan der der Borussia nichts entgegenzusetzen. Borussia-Fans lehnt Euch zurück! Genießt die schönste Zeit in Eurem Leben. Erst hat der BVB die Romantik zurück in den Fußball gebracht. Jetzt ist es der Glaube! Der Glaube daran, dass Mannschaften nach großen Triumphen nicht auseinanderbrechen oder am Egoismus zugrunde gehen. Danke, Borussia! Jetzt holt Euch den Titel! (dembowski / DerSamstag!)
Als ich in meinen Teenagerjahren war, entwickelte ich eine Vorliebe für Tassen. Ich sammelte und sammelte. Ich hatte Plymouth Argyle und Nottingham Forest, ich trank aus den Mugs der Blues und der Spurs, die Gunners waren doppelt und auch für Manchester United hatte ich eine Vorliebe entwickelt. Nur in Deutschland gab es naturgemäß nur einen Verein. Es war der Ballspielverein. Irgendwann noch unter Köppel stand dann meine erste und bis heute einzige Tasse im Regal. Der letzte verzeichnete Titelgewinn war der Supercup 1989. Errungen in einem harten Match gegen die Bayern.
4:3 hieß es damals nach 90 Minuten. Die Torschützen ließen mich noch heute mit der Zunge schnalzen. Auf Seite der Bayern hatten McInally, Grahammer und Mihajlovic getroffen, doch ein Doppelpack von Günter Breitzke und je ein Treffer von Rückkehrer Jürgen „Kobra“ Wegmann und dem aufstrebenden Jungnationalspieler Andi Möller langten zum großen Triumph. Zumindest war es das für mich zum damaligen Zeitpunkt. Sogar der unglückliche Rolf Meyer, der 1986 ohne ein einziges Spiel seinen Stammplatz an Teddy deBeer verloren hatte, durfte aber der 76. Minute mitmischen. Er blieb ohne Gegentor. Zwar konnte der BVB unter Köppel nicht mehr an den Wendesommer anschließen, aber immerhin durfte er sich jetzt Supercup-Sieger 1989 nennen und das auf Briefköpfe und Tassen drucken. Niemand hatte damals erahnen können, dass dieser Titel schon wenige Jahre zur Randnotiz der Vereingeschichte werden würde.
Die Tasse war 1989 ein Weihnachtsgeschenk meiner Eltern. Jahrelang stand sie im Schrank, zu ihr gesellten sich die Meistergläser der Dortmunder Brauereien. Wenn ich auch aus den Meistergläsern trank, so blieb die Tasse weitestgehend ungenutzt. Damals war mein Alkoholismus noch nicht weit vorangeschritten, aber ich hatte genug Tassen. Von Umzug zu Umzug, und ich zog oft um, wurden es weniger Tassen. Mal verschenkte ich eine an einen Postboten, mal verschwanden sie im Umzugschaos. Die BVB-Tasse blieb immer an meiner Seite. Nachdem Redermann mich aus der Nordstadt vertrieben hatte, war sie mein Rettungsanker. Nur noch selten hatte ich in den letzten Monaten Gelegenheit gehabt, in die Westfalenmetropole zu reisen. Mit mir ging es, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, bergab. Meine Existenz war zum Scheitern verurteilt. Doch wenn ich mich morgens an meiner Tasse festhielt, den Kaffee trank und in Gedanken schon einmal den Spieltag durchging, war meine Welt für einen kleinen Moment in Ordnung. Ich hatte sie bereits in Dortmund immer mal wieder genutzt, doch so richtig kam sie erst im Soldiner Kiez zum Einsatz.
Ich trank aus der Tasse und Borussia marschierte von Sieg zu Sieg. Und wenn auch manchmal ein Unentschieden dabei war, so zeichnete in meiner Realität die Tasse für den langen Weg an die Tabellenspitze verantwortlich. Doch an diesem Wochenende setzte mal wieder der Nebel ein. Ich zog mich zurück. Ich war noch geschockt von Patsches Einlage und auch von seinen mahnenden Worten. Als ich Sonntags in der Küche stand, zitterten meine Hände. Mit letzter Kraft goss ich den Kaffee in die Tasse. Es war Spieltag. Sonntagsspieltag dazu. Ich brauchte meinen Kaffee, um wenigstens für einen Moment ein paar Lichtstrahlen zu sehen. Ich setzte an und trank. Meine Hände zitterten. Beim Versuch die Tasse auf den Tisch zu stellen, rutschte ich langsam ab. Die Tasse stand nun auf der Kante und bevor ich etwas tun konnte, rutschte sie ganz langsam und wie in Zeitlupe ab. Sie war in der Luft und anstatt eines Rettungsversuchs schlug ich die Hände über den Kopf zusammen, schloß meine Augen und vernahm das Splittern.
Es war ein glatter Bruch, doch die Tasse war hinüber. Nach 16 ungeschlagenen Spielen in Folge, nach über 22 Jahren in meinem Besitz. Klar, die Tasse ließ sich kleben und das würde ich auch tun, doch sie war hinüber. Ich konnte sie mir vielleicht noch in den Schrank stellen, meinen Spieltagskaffee würde ich in Zukunft aber aus anderen Tassen trinken müssen. Die Mannschaft würde ihre Spiele ohne den Glücksbringer gewinnen müssen. An diesem Sonntag verschwand meine Zuversicht.
Ohne große Zuversicht ließ ich mich in der Kreuzberger Kneipe nieder, sah die Bayern gegen die Blauen gewinnen und verpasste den Anstoß der Borussia, da die Wirtin des Ladens es sich auf dem Pott bequem gemacht hatte. Das Spiel in der Kneipe begann mit einem blutenden Bender, doch endete es nach fantastischen 90 Minuten mit einem 3-1 über Hannover. Weiter! In meiner internen Europapokalrechung waren wir bislang nur gegen Hertha ausgeschieden. Ausgerechnet Hertha! Die mit Rehhagel in Richtung Abgrund tanzten. War aber auch egal. Wir waren auch dort nur aufgrund der überschätzten Auswärtstorregelung raus. Gottseidank nicht in Italien! Dort wäre das tatsächlich von Interesse. Hier nicht. Und Hannover hatten wir im direkten Vergleich durch den Last-Minute-Treffer von Perisic mit 4-3 besiegt. Top! Der Nebel hatte sich auch in einem der Torjubel aufgelöst, es ging bergauf, wenn auch nicht mit mir, so immerhin mit der Borussia.
Was doch auch geil war, sagte ich mir, machte mich auf den Weg zurück, setzte mich an den Schreibtisch, dachte für einen Moment mal nicht an die Tasse und kommentierte, weil ich kommentieren musste