Noch einmal sitzen wir am Tisch, mittlerweile haben wir uns etwas beruhigt und uns mit der harten Realität zumindest auseinandergesetzt, auch wenn wir uns niemals mit der Situation anfreunden werden. “Ich habe alles probiert, Reiser”, sage ich zu Jens und schaue einigermaßen bedröppelt auf die Bilder an der Wand. Auf der Bühne beim Familienfest. Noch einmal erinnere ich mich an den Shanty und an die heißen Jungs. “Alles Gute hat seine Zeit und alles Gute bleibt in Erinnerung. Sie haben doch nur das getan, was sie tun mussten. Sie hatten ihre Zeit und haben sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens getrennt.” “Ja, sie tanzten nur einen Sommer. So ist es leider. Aber dieser Sommer bleibt unvergessen. Punkt!”

“Und wenn wir dann beisammen sitzen und uns über unsere Streitigkeiten vergessen, bleibt uns der Gedanke an die gemeinsamen Momente. Aber jetzt, Reiser, ist es vorbei. Ich werde meinen Weg gehen und Du wirst weiter auf Deinem Pfad der Gewissenlosigkeit bleiben. An der Situation lässt sich nichts mehr ändern. Wir sind zu verschieden. Viel zu verschieden. Und ich habe mich von Dir gelöst. So wie sich Aki jetzt vom Casino Express gelöst hat und wir beide werden keine Freunde mehr. Mit Dir, Reiser, werde ich niemals meinen Frieden machen. Du hast mich getreten und benutzt und Du hast Dich um meine Befindlichkeiten einen Dreck gekümmert. Für Dich war ich der Spielball. Für Dich war ich der Ersatzball, der von Balljungen ins Feld geworfen wird. Und wenn wir schnell waren, ist uns dadurch sogar ein Treffer gelungen. Aber diese Zeiten gehören ein für allemal der Vergangenheit an. Du hast mich zerstört, so wie am Ende Aki den Casino Express und der Casino Express Aki zerstört hat. Jede Zusammenarbeit gelangt irgendwann an diesen Punkt, jede Zusammenarbeit ist grundsätzlich auf das finale Scheitern ausgelegt. Und die guten Zeiten nimmt man mit und vielleicht erinnnert man sich in schlechten Zeiten an sie und vielleicht waren es auch nur in dem Moment gute Zeiten. Sie passten zu uns, sie waren da und doch sind sie im Rückblick letztendlich nur die zerstörerischsten Zeiten gewesen, die uns die Kraft nahmen, andere Dinge in den Vordergrund zu rücken. Die uns in unserem Fortkommen, wie man so sagt, behindert haben und uns voller Naivität auf den falschen Pfad geführt. Naturgemäß gestehen wir uns das nicht ein, Reiser, und blicken zurück in einer Mischung aus Stolz und der größten Wut über unsere eigene Unzulänglichkeit, die jedoch durch den Moment von uns als Perfektion bezeichnet wird. Dieser Irrglaube kostet uns tatsächlich wichtige Jahre unseres Lebens und doch beschreiten wir den Weg weiter, bis wir die Konsequenzen ziehen und mit einer 180 Grad-Drehung an den Ausgangspunkt zurückkehren. Als neuer Mensch. Aki ist 75 Jahre, da ist es umso besser, wenn er diese Drehung innerhalb weniger Wochen vollziehen kann. Er ist nicht mehr der junge Mann, den wir von den Bildern aus Glasgow kennen, er ist, nicht einmal seine große Zeit als Spieler konnte das verhindern, wie wir alle den Prozessen des Lebens ausgesetzt. Auf der Sitzung im Kleingarten, so hört man, ging es um genau diese Überlegungen. Was erwarten wir noch. Können wir uns auf einen gemeinsamen Weg einigen und wie schaffen wir es, dass wir in Zukunft als Einheit auftreten und uns über Rubbeldikatz hinaus ein solides Fundament schaffen? Werden wir die obskure Band bleiben, fragten sie sich, die mit einem Hit den Sommer der Borussia vertonte oder werden wir darüber hinaus die Musikgeschichte auf Jahre beeinflussen können. Und an dieser Frage sind sie letztendlich zerbrochen, Reiser. Nicht an den Fakten, die uns jetzt über die Medien suggeriert werden. Es sind keine Fakten. Es mögen winzige Details und Fixpunkte sein, die eben auch leichter zu belegen sind. Denn die großen Fragen, Reiser, und das sage ich Dir jetzt im Vertrauen und das sage ich Dir auch als Zeichen meiner Abneigung, werden doch von Euch nicht gestellt. Kompakt und reißerisch werden sich Stichwörter herausgesucht und diese dann soweit gebogen, bis sie es zu einer reißerischen, ja meist die Existenz vernichtenden Schlagzeile bringen.”

Ich öffne meine Augen. Reiser steht am Flipper. Neben mir sitzt die Wentraud und nickt stumm. Sie schaut mich an. “Vielleicht hast Du Recht, Dembowski! Aber hattest Du mir nicht schon vor langer Zeit die Klärung des Affenmaskenmanndiebstahls versprochen und warst Du nicht bereits kurz davor? Jetzt sitzte hier am Tisch und schwingst große Reden. Von großen Reden aber kann ich mir nichts kaufen. Unglaublich.”