Was bisher auf der Kugelbahn passierte

Während Kamke und Peters ihre Geschichten vortrugen, wanderten meine Gedanken immer wieder in den Oderbruch. Ich war jetzt ganz ohne Angst. Dachte an Koi, dachte an Dörte und daran, wie wir die Farm weiter aufbauen würden. 

Manchmal unterbrach ein einzelnes Wort, ein dahingehauchter Klavieranschlag meine Träume. Manchmal nahm ich, ohne es zu merken, einen Schluck Bier. Ich wunderte mich wenig über den Nachschub. Hatte nicht einmal bemerkt, dass Winowski diesen in rauen Mengen rankarrte. 
Es war gut, dass ich in der Kugelbahn war. Es war gut, dass alles so gekommen war. Es war passiert, was hatte passieren müssen. Nicht einmal in dieser Stunde sah auf die Bühne. Nicht einmal blickte ich hinter mich. Nicht einmal zweifelte ich. 
Wer immer dieser Kamke war, wer immer dieser Peters war. Es funktionierte. Winowskis Plan, wenn es denn sein Plan gewesen war, ging auf. Ich war abgelenkt. Und in Sicherheit. Er hatte sich gekümmert, ohne dass mir was fehlte. 
Als ich doch einmal auf die Bühne blickte, sah ich die Lichtshow, sah die Bilder von gefallenen Stars, von bunten Schuhen, von großen Triumphen und schmerzverzerrten Blicken, die über den ganzen Raum projiziert waren. Bald flüsterte es „to be a champ, you have to believe in yourself when nobody else will” aus den hinteren Ecken der Kugelbahn. Und vorne brüllte Peters “I gotta have” und Kamke “faith”. 
Wenig später verschwanden die Bilder, die einst weißen Wände waren schwarz. Ganz langsam aus der Mitte des Raums bewegten sich Buchstaben in Richtung Wand. Als sie gegen die Dunkelheit knallten, durchzog ein Schrei den Raum. 
Es war Kamke. Er brüllte HASS! Das war nun auch an der Wand zu lesen. Ein Rabe ließ sich auf der Stuhllehne meines Vordermanns nieder. Peters sang „ich habe keine Sekunde geschlafen, soll ich aufstehen und mir einen Drink machen?“ 
Natürlich sang er nur vom Trinken. Ich trank. Winowski hatte geliefert. Der Rabe beunruhigte mich nicht weiter. The show must go on. Und ich fragte mich, was das alles mit Hornby zu tun haben sollte. Das hier war Kunst. Die ich nicht verstand. Die ich noch nie verstanden hatte. Die mich ablenkte. Mich unterhielt. Und mich mit ihrer Unruhe befriedete. 
Winowski sah es ähnlich. Er war eingenickt. 
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp! 
Die Jungs auf der Bühne gingen gut ab. Ich verstand nicht. Was zum Teil auch daran lag, dass sich von hinten ein Arm um meinen Hals geschlungen hatte. Er schnürte mir die Luft ab. 
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp!  (Kamke leise: Er ist der Vulkan!)
Peters lag auf der Erde. Er schrie sich die Seele aus dem Leib. Das Publikum stand. Kamke dirigierte den Chor. Immer lauter. 
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp! 
Das Publikum antwortete.
Der Vulkan! Der Vulkan! 
Peters schrie.
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp! 
Das Publikum antwortete.

Nimmermehr! Nimmermehr!
Ich kämpfte mit dem Arm, der sich immer fester um meinen Hals legte. Winowski wachte auf. Machte eine kurze Handbewegung. Glas zerbrach.
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp! 
Ein paar Gitarrensalven durchzuckten den Raum
Der Vulkan! Der Vulkan! 
Ich bekam kaum noch Luft. Winowski bewegte seine Hand. Blut floß an meiner Stirn hinunter. 
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp! 
Der Rabe thronte unter der Decke. Ein Körper drückte mich zu Boden. Ich sah in leblose Augen. Winwoski sagte: „Das war mein Job!“. Winowski stand auf. Und ich sah die leblosen Augen Bergs. Frank Berg, der nach Düsseldorf pendelte.
Nimmermehr! Nimmermehr! Nimmermehr!
Die Kugelbahn stand. Kamke dirigierte. An der Wand war eine neue Projektion. Die Kaputt-Krise! Dann ein paar Gesichter, die ich durch das Blut nicht sehen konnte. 
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp!
Der Rabe war keiner mehr. 
„Ich bin ihr Sales-Team“, sprach er zu mir. Ich sah den Backdrop: „DerSamstag! – Die neue Mittelmäßigkeit!“ 
„Mieser Claim!“ 
Doch der Rabe antwortete nicht. Er ließ mir keine Wahl. Er sprach nicht mehr. Mir war bewusst, was das bedeutete. 
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp! 
Langsam schleppte ich mich die Treppen hoch. Meine Kleidung war voller Blut. Hier würde es nicht auffallen. Nicht in der Nacht. Nicht im Soldiner Kiez. 
In der Friedhofskneipe nahm ich einen Absacker. Sie spielten Fink. Mondscheiner! Koppruch war bald auch schon ein Jahr tot. 
Es war Anfang September 2013. 
Am nächsten Morgen, ein Samstag!, fügte ich mich meinem Schicksal. Zwei Wochen verließ ich die Wohnung nicht. Ende des Monats wagte ich mich auf die Lamafarm. Und in all der Zeit lieferte ich ab. Ich hatte keine Wahl. Manchmal, wenn ich endlich schlief, hörte ich die Stimmen.
Labbadia! Fink! Wiesinger! Klopp! Klopp! Klopp! 


ENDE – Kugelbahn