Eigentlich hatte Dembowski von seinem Treffen mit Lewandowski berichten wollen, doch das Derby machte ihm einen Strich durch die Rechnung


Über Nacht war der Winter zurückgekehrt. Als ich nach trostlosem Schlaf aufwachte, hatte sich eine Schneeschicht über die Wollankstraße gelegt. Schon am späten Samstag waren die ersten Flocken gefallen, erinnerte ich mich halb an der Kaffeemaschine stehend.

Eigentlich, dachte ich an der Kaffeemaschine stehend und dem beruhigenden Geräusch des durchlaufenden Kaffees lauschend, hatte ich den Nachmittag vergessen wollen. Eigentlich hatte ich diese 90 Minuten von Gelsenkirchen vergessen wollen. Doch obwohl mein Schädel pochte, obwohl ich nur um mich herumblicken musste, um zu sehen, dass ich mir zumindest die größte Mühe gegeben hatte. Doch gelungen war es mir nicht. Die Bilder hatten sich in meinem Kopf festgebrannt und schloss ich für einen kurzen Moment die Augen, kamen sie wieder hoch.

 
Man konnte, dachte ich mir jetzt einen Kaffee eingießend, ein Derby verlieren, man konnte, dachte ich Kris Kristofferson aus dem Regal fischend, auch zwei Derbys verlieren. Es war zwar schlimm, es war aber immer noch Fußball. Kristofferson machte sich gerade ein neues Bier auf und ich war auch kurz davor. Es musste weitergehen und es würde weitergehen, wie es immer weitergehen würde. Die Rückkehr in die harte Realität des Alltags stellte sich in dieser Saison extrem schwierig da. Wir hatten die Liga mit Vollgasfußball gerockt, dachte ich und klammheimlich gehofft, dass es jetzt immer so weiter gehen würde. Dass wir niemals wieder in die geordneten Bahnen des Fußballgeschäfts zurückkehren würde, hatten wir zwar nicht geglaubt, aber es doch zu jeder Zeit gehofft.

Es war nicht so gekommen, dachte ich und wir hatten gewusst, dass es nicht so kommen würde. Die letzten Wochen aber waren, trotz der großartigen Leistungen in der Champions League, in ihrer Geschwindigkeit der Ankunft niemals so zu erahnen gewesen. Wir hatten uns von der Betriebsamkeit der internationalen Aufmerksamkeit überrollen lassen. Einmal als hottest team in Europe geadelt, war es der Borussia nicht schwergefallen, aus dem Titel Kapital zu schlagen. Wir wollten unsere Nische suchen, Leute nach Dortmund locken und ihnen unserer Geschäftsmodell präsentieren, hatte Cramer, wenn auch nicht wörtlich, in einem Interview erklärt.

Auch den Fans war es nicht schwergefallen, den neugewonnen Ruhm voller Stolz mit sich rumzutragen. Wir, die Fans, und zu denen zählte ich mich immer noch, hatten ja keinen unbedeutenden Anteil an dem Aufschwung der Borussia. Wir machten den Verein aus. Wenn wir auch nicht auf dem Platz standen, so hatten wir uns von Klopp einfangen lassen und waren immer stärker geworden. Auf dem Platz, auf den Tribünen.

Erfolge machen satt, dachte ich, und war mir durchaus bewusst, dass dies keineswegs eine neue Erkenntnis war. Satt. Und Selbstzufrieden. Jetzt rockten wir die Champions League. 8 Spiele, 5 Siege, 3 Unentschieden. Es gab in ganz Europa kein besseres Team und das trotz der durchaus starken Gegner, auf die wir dort in den letzten Monaten getroffen waren. Die Liga, das wusste ich, hatten wir irgendwann aufgegeben. Auf einmal liegen 10 Punkte zwischen Dir und den Bayern und Du siehst, wie stark und konzentriert die Bayern das da durchziehen und natürlich schreibst Du Dir das dann auf Deine Fahnen, dachte ich. Nur die großartige Leistung in den vergangenen beiden Spielzeiten, dachte ich, hatten alle gesagt, hatte die Bayern zu dieser unglaublichen Saison getrieben.

Doch damit hatte es begonnen. Das heißeste Team Europas ,dass die Liga auch nebenbei noch auf Platz 2 beenden konnte und immer wieder darauf verwies, dass ja erst die eigene Leistung überhaupt erst und dann auch noch China und so. Und China und so war eigentlich das Grundübel unserer Saison. Wir waren zwar bereit, die Leistung anderer Mannschaften anzuerkennen, aber diese Leistung stand immer direkt mit uns in Verbindung.

Mittlerweile war ich von Kaffee auf Bier umgestiegen und langsam ging es mir besser. Ich blickte auf die weiße Wollankstraße und die paar Autos, die sich an diesem Sonntag stadtauswärts bewegten. Ich nahm einen großen Schluck, blickte auf den jungen Kristofferson, dann auf das Bild des alten Kristoffersons an meiner Wand. Vor ein paar Jahren mal, in einem anderen Leben, hatte ich ihn getroffen und wenn wir auch wenig gesprochen hatten, hatte er mir „Dembowski, no matter what happens, remember your roots“ mit auf den Weg gegeben. 

An die Worte erinnerte ich mich, und Kristofferson blickte auf ein altes, von der Zeit entstelltes Bild und fragte sich, was zwischen zwei Bildern – eines am Anfang des Lebens, eines am Ende des Lebens – passierte. Soweit musst ich nicht gehen, meine Jugend war noch näher als mein Alter, meine Erinnerung war nicht verschwommen und ich sah mich noch einmal auf einer Klippe in England sitzend und war verwundert, wie wenig Zeit zwischen der Erinnerung und dem Jetzt lag. Vielleicht waren 20 Jahre vergangen, doch ich saß noch immer auf der Klippe, blickte auf den Atlantik und malte mir aus, wie ich eines Tages wieder dort sitzen würde.

Der Gedankte tröstete mich. Es lag nicht an mir, dass ich mich der großen Erfolge der letzten Jahre im Angesicht der grausamen Derbyniederlage nicht erinnern konnte. Die Hektik der letzten Wochen hatte meine Erinnerung daran ausgelöscht. In ein paar Jahren würde ich auf sie zurückgreifen können, doch jetzt war das alles noch zu nah. Vielmehr sah ich die Borussia gegen Cottbus. Sah sie den sicheren Champions League Platz verspielen und somit endgültig in die Abwärtsspirale gleitend.

Längst hatte ich mich auf die Couch gelegt, die Platte gegen eine CD getauscht, ein paar Bier um mich herum aufgebaut. Ich dachte an ein Gespräch aus der vergangenen Wochen. „Das ist doch alles nichts mehr. Die irren Journalisten machen mich nervös. Sie schreiben mal so und mal so,“ hatte mir ein Freund gesagt. „Und was sollen sie sonst tun?“ „Recherchieren, tiefgründige Analysen schreiben, den Zirkus nicht mitmachen!“ „Und was würdest Du da tun?“ „Ins Stadion gehen, was sonst. Habe ich immer getan.“ „Diesen hottest club in Europe-Artikel fand ich gelungen.“ „Ja klar, der hat recherchiert. Der hat analysiert und seien wir mal ehrlich, das ist in diesen Zeiten leider nicht mehr der Standard.“ „Fandest Du es denn richtig wie der Verein reagiert hat?“ „Wie denn?“ „Er hat es ausgenutzt. Immer wieder auf das Besondere hingewiesen!“ „Aber das sind wir doch auch. Wir sind Borussia, wir sind besonders!“

„Sag mal, wie siehst Du das eigentlich mit China und so?“, hatte ich gefragt. „Recht hat er! Die haben doch geklaut, aber besonders wichtig ist das ja nicht.“ „Und was hältst Du von der vollmundigen Ankündigung jetzt mal richtig zu investieren?“ „Müssen wir doch. Schau! Uns fehlt einfach die Kaderbreite um auf Dauer in der Spitze mitzuspielen.“ „Muss man das so sagen?“ „Was soll Watzke sagen. Wir investieren nicht. Dann hauen die Medien ihm das doch wieder um die Ohren!,“ hatte mein Freund gesagt. „Sollen wir eigentlich Patrick Herrmann holen?“ „Klaro. Guter Mann. Können dann über außen noch variabler agieren, und Hermann kann auch in der Mitte. Finde es gut, dass wir uns um ihn bemühen.“ „Machen wir das?“ „Ja, stand doch in der Zeitung.“ „Aha“

„Aber, Dembowski, weißt Du, was mich wirklich stört?“ „Nein, aber schieß los!“ „Ist schon wieder Derby. Hab da wirklich kein Bock drauf. Die Medien bringen wieder ihre Folklore-Geschichten und schreiben von schlimmsten Gewaltexzessen.“ „Fährst Du hin?“ „In die Turnhalle? Ja, klar. Wir machen die weg!“ „Aber Bock hast Du nicht?“ „Seien wir doch mal ehrlich, wir haben jetzt andere Gegner. Wir wollen in der Champions League weit kommen und die haben Keller. Mit Keller in den Keller! Die haben nix drauf. Und ich kein Bock auf das Derby.“ „Wir gewinnen 7-3“, hatte ich geantwortet und das Gespräch für beendet erklärt.

Ich hatte voll Bock auf das Derby und immerhin würde Hummels wieder spielen, sogar mit neuen Tretern in Vereinsfarben.

Half nicht. Wir verloren und der kein Bock auf das Derby gehabt hatte, schrieb mir, dass er es schon immer gewusst hatte und die Einstellung der Mannschaft nun, ja, wie sollte er ausdrücken, aber auch mal scheiße war. „Deine auch!“ hatte ich ihm geantwortet und in Florenz schnappten sie Florian Homm.