Ob Breitnigge in einer ähnlichen Bruchbude wohnte, konnte Dembowski nicht bestätigen. Aber seine Äußerungen stießen beim Ermittler auf gelangweiltes Unverständnis.
Berg hielt sich wirklich für oberschlau. Eine Woche lang hatte er sich mit seiner unsäglichen Kostümierung an meine Fersen geheftet. Und ich hatte ihm die langweilige Dembowski-Show geboten. Mal hier in eine Kneipe, mal dort in eine Bahn. Einmal führte ich ein Selbstgespräch. Und als mir sein Schnäuzer zum Halse raushing, so richtig zum Halse raushing, setzte ich mich in den Starbucks-Abklatsch im alten Szenebezirk Prenzlauer Berg und gab den Irren. Ich malte wie wild in meiner Kladde rum, breitete große Zettel vor mir aus und zog die „Aufholjagd! Jetzt!“-Nummer ab. Irgendwann würde er aufgeben. Er hatte keine Wahl und würde mir weiter Umschläge zustecken, der Rest interessierte mich nicht.
Berg nervte und ich kam nicht weiter. Die neue Frisur mochte mir gut stehen, sicher machte sie mich auch weniger angreifbar. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich das was andere Menschen ein „gepflegtes Äußeres“ nennen und was mir nur insofern wichtig war, als dass ich so vielleicht doch noch einmal meine Recherchen rund um den Lewandowski-Deal intensivieren konnte. Aber auch das stand naturgemäß in den Sternen. Zu Ostern, das konnte ich festhalten, sah ich nicht mehr wie ein auferstandener Erlöser aus, sondern ging im unscheinbar gentrifizierten Look Berlins im Jahres 2013 unter. Berg hatte ich zwar nicht abschütteln können. Aber natürlich hatte ich ihm auch ein paar Hinweise gegeben und war noch schlurfender durch die Gegend gezogen.
Und irgendwann stand ich eben auf der Schönhauser Allee, schrie „Deutscher Meister ist nur der BVB!“ und hielt meine Plakate hoch. Der Ersatzverkehr aus Richtung Bornholmer staute sich direkt vor mir und aus dem Augenwinkel beobachtete ich Berg. Er stand auf und zog kopfschüttelnd ab. Für ein paar Tage, solange meine Kohle reichte, würde ich jetzt wieder Ruhe vor ihm haben. Leise rief ich ihm noch „kümmert Euch doch mal um brennende Häuser“ hinterher. Als Berg sich geschlichen hatte, löste ich den Stau auf. Gerade rechtzeitig bevor die Grünen sich um mich kümmern wollten. Sie hielten Höhe Schievelbeiner und ich rannte in Richtung U2.
Immerhin war Spieltag, immerhin konnten wir gegen Stuttgart unsere gute Rückrundenbilanz auf 7-1-2 ausbauen und auf Kurs bleiben. Nach einer verwirrenden Anfangsphase und einem spektakulären Nasenbruch Schmelzers gingen wir recht schnell in Führung und verpassten in der Folge, ein paar Tore nachzulegen. Stuttgart spielte gut mit. Leider traten sie auch gut mit und so war es vor allen Dingen Niedermeier, der sich immer wieder durch üble Grätschen auszeichnete. Bayer blieb Bayer. Hätte ich DerSamstag! nicht vorerst auf Eis gelegt, ein paar Knaller-Überschriften wären mir schon eingefallen. “Der niederträchtige Niedermeier”, zum Beispiel oder auch “Aus den geistigen Niederungen: Das Stuttgarter Treterpack!”, wobei ich diese Überschrift für diffamierend und nicht sonderlich gelungen hielt. Aber das mussten momentan ohnehin andere für mich übernehmen.
Und so beobachte ich die zunehmende Treterei der Stuttgarter mit Argwohn und freute mich über und für Lewandowski, auf den mal wieder Verlass war. Würde er wirklich wechseln, und eigentlich bestand daran nicht mehr der geringste Zweifel, hinterließ er eine ozeangroße Lücke im Offensivspiel der Borussia. Gerade in den vergangenen Wochen hatte die Welt wieder über den falschen Neuner diskutiert und dabei nahm Lewandowski genau diese Rolle schon seit langer langer Zeit ein. Er war der echte falsche Neuner. Vielleicht einfach ein wenig zu groß, um als echter falscher Neuner durchzugehen. Noch einmal erinnerte ich mich an die lächerliche Äußerung Scholls, der Lewandowski kürzlich erst als echten Stoßstürmer bezeichnet und damit bewiesen hatte, dass okayer Musikgeschmack nicht unbedingt mit okayem Sachverstand einhergingen.
2-1 gegen Stuttgart also. Die Meisterschaft der Bayern für eine Woche aufgeschoben. Das musste den Rheinländer Breitnigge tief getroffen haben. Von Sonntag an belästigte er mich mit zahlreichen Nachrichten, die allesamt einen seltsamen Tenor hatten. Anstatt sich über das 9-2 zu freuen, musste er sich an seinem Trauma abarbeiten. Sein Trauma hieß aus mir unerklärlichen Gründen Jürgen Klopp und seine Anschuldigungen waren derart absurd, dass ich sie sofort wieder aus meinem Gedächtnis löschte. Nur seine Wüterei blieb hängen und sein skuriller Klopp / Klinsmann-Vergleich. Bayer blieb Bayer, auch wenn er eigentlich ein Rheinländer war.
Am späten Montag rief noch ein alter The Smiths-Fan aus Hamburg an. Natürlich zitierte er zuerst seine absolute Lieblingsband und erklärte mir „some fans are bigger than others“, danach aber steckte er mir recht spannende Informationen. Breitnigge, so erklärte der Hamburger, sei in Wahrheit ein Dortmund-Fan, der mit seinem nach außen präsentierten Hass allein von der „echten Liebe“ ablenken wollte. Das aber war mir zu viel des Marketingsprechs. Und überhaupt stand das Malaga-Spiel an. Ausgerechnet Malaga! Wir konnten es packen und langsam wurde ich nervös. Berg war da schon längst abgereist.