Dass die, die es schon immer gewusst hatten, einmal nicht recht bekamen, war für Dembowski das größte Glück im Unglück.
Doch konnte es das Unheil aufwiegen, welches sich in Form von „Ermittler Heute“-Reporterin Ayse Güllü in großen Schritten auf das Soldiner Eck zubewegte?
Doch konnte es das Unheil aufwiegen, welches sich in Form von „Ermittler Heute“-Reporterin Ayse Güllü in großen Schritten auf das Soldiner Eck zubewegte?
Dabei war alles einfach losgegangen. Auf den Punkt in Leverkusen folgte die erwartete Niederlage gegen Augsburg. Kein Aufbäumen. Keine Inspiration. Und die Fans auf dem Zaun. Dembowski hatte es nur am Radio verfolgt. Was nützt die Gewissheit, wenn sie einem stets vor Augen geführt wird, dachte der Ermittler im Fähnlein Naseweis-Modus.
An diesem Mittwoch war er nicht ins Soldiner Eck gegangen. „Ich schau HSV!“ Schill hatte auf den Spielplan verwiesen, und so saß Dembowski an seinem Fenster, verfolgte die Dortmunder Niederlage am Radio und sah Schill aus der Kneipe rennen. Hamburg hatte gewonnen, und dabei 3 Tore geschossen. Der BVB blieb trotz Immobile, Reus, Kagawa, Mkhitaryan, Kampl und dem Rest der Truppe weiter bei null Treffern und ebenso viel Hoffnung.
Danach begann der Telefonterror. „Dembowski! Klopp ist weg. Tuchel wird Nachfolger“, schrie einer durch die Leitung, andere verzichteten auf altgediente Konversationsregeln und brüllte nur „machen Sie endlich was. Wir sind in Gefahr, Ermittler!“ Der entgegnete nur, dass er das schon immer gesagt habe und es für ihn daher nicht von Interesse sei. Es war Freitag und ihn interessierte vor allen Dingen die neue Zapfanlage, von der ihm Schill erzählte hatte.
Aber im Soldiner Eck war es auch nicht so toll, musste Dembowski feststellen. Hagenberg-Scholz brütete wieder über Statistiken und taktische Winkelzüge.
„Ey, Dembo. Es ist hoffnungslos.“
„Warum?“
Es folgte eine lange Erklärung. Ein schwarzer Schwan. Hochstehende Verteidiger. Der fehlende Plan B. Fehlende Präzision und falsche Laufwege. Hagenberg-Scholz kramte beeindruckende Listen raus. Gespielte Pässe, angekommene Pässe. Sprints. Ballverluste in den entscheidenden Zonen.
“Mich interessiert das alles nicht, Scholle”, sagte Dembowski, und schlug auf den Tisch. „Mich interessieren Deine Analysen nicht.“
„Aber..“
„Aber? Für mich persönlich gesehen sind Deine unsinnigen, angelesenen Analysen der bisherige Tiefpunkt dieser an Tiefpunkten wirklich nicht armen Saison. Und dass Du es überhaupt hier in die Kneipe geschafft hast.“
Dembowski hatte Hagenberg-Scholz mit beiden Händen in die Luft gestemmt. Und schrie ihn weiter an.
„Ich dachte…“
„Du kommst zum Denken ins Soldiner Eck? Geht es noch?`”
Niemand lachte.
Der Regen knallte auf die Straße. Schill zog an seiner Kippe und drückte sie an der Tür aus.
The End.
„And he walked on down the hall. And he came to a door, and he looked inside.”
“Dembowski, hau ab da. Lass den Nerd in Ruhe”, Schill, der ein Kronen Ex rüberschob.
„C’mon baby, take a chance with us.”
Barnetta traf, und niemand störte sich dran. Denn beide Vereine spielten in dieser Saison in einer anderen Liga. Es ging um den Klassenerhalt. Für Schill und Dembowski. Schill oder Dembowski? Showdown im Volkspark. Bis dahin wollten sie sich unterbieten, hatten sie sich vorgenommen. Mit Leistungen und mit kitschigen Comeback-Stories. Davon lebte ihre Spielzeit. Von der Ahnung vom Untergang, vom Flirt mit dem Abgrund, und der Gewissheit, dass es bei diesem ahnungsvollen Flirt bleiben würde. Ein Leben lang, so dachten sie und freuten sich umso mehr auf den Showdown im Volkspark. Er würde bedeutungslos bleiben.
Am Samstag schlug erst der BVB desaströse Freiburger mit 3:0 und wenig später sorgte der Hannoveraner Marcelo für den 2:1 Erfolg der Zinnbauer-Truppe, der Dembowski immer mehr abgewinnen konnte. „Grandiose Truppe habt ihr da zusammen. Effektive Spielzeit: 10 Minuten. Maximale Unterhaltung.“
Die Leistung des BVBs wollte Dembowski nicht einordnen. Freiburg war kein Maßstab. Nach außen gab sich der Ermittler euphorisch und den reinkippenden Ermittler. Denn das war der Dortmunder Sieg natürlich auch: Ein perfekter Grund für einen weiteren langen Abend im Jukebox-Paradise.
„Don’t think twice it’s just another day for you and me in paradise“, bald schon standen Schill und Dembowksi grölend vor der Tür. Sie sahen die Gestrandeten durch die Nacht ziehen. Von Späti zu Späti. Und der Ermittler zog mit ihnen. Er war der Ermittler des Jahres 2014. Und er hatte was zu erzählen. Vom Fußball. Und wie er ihn beeinflusste. Seine Geschichten konnte er zwar selten belegen, doch meist hatten ihm seine Andeutungen alleine einen gelungenen Abend eingebracht.
Doch am Vorabend der Wende war es anders.
Dembowskis Geschichten interessierten nicht. Sie waren die eines alten Mannes. „Kannst Du nix über Wolfsburg erzählen? Krasse Transfers. Sind drauf. Die sind es jetzt.”
“Wolfsburg?”
“Klar. De Bruyne, Schürrle, Perisic, Maxi Arnold! Bas Dost! Dazu Hecking und Klaus Allofs. Das ist der Shit. Nicht diese veralterte Truppe aus Dortmund.“
Für Dembowski waren es immer noch die Jungs, die im Rabenloh auf den Schultern getragen worden waren. Und Klopp war einer, der immer lachte. Der Ermittler war noch nicht in der Realität angekommen. Obwohl er die Zeichen längst erkannte hatte, doch was sie bedeuteten, davor verschloss er lieber die Augen. So war er schon immer. Aus Dankbarkeit hatte er jahrelang auf Pferde gesetzt, die erst sich und somit auch ihm das Genick gebrochen hatten. Wieso sollte er diese Angewohnheit ändern, fragte er sich. Sie hatte ihn an diese Stelle getrieben, und das Leben war sicher schon einmal übellauniger gewesen.
„Once there was a way to get back home.”
Aber der Ermittler war schon lange ohne Heimat. Und deswegen war da kein Weg mehr. Nicht nach Hause, und nicht auf die Lamafarm, der Platz, der dieser verwegenen Vorstellung Heimat noch am nächsten kam.
Er war stattdessen einfach in seine Wohnung zurück. Der Dreiklang: Platten hören, Bier trinken, Tränen weinen. „Once I was just a boy with a need to destroy. Now I will be a man I will rise from this land.”
Der Anruf.
“Wir haben alles geboten. Und alle anderen Vereine sind abgesprungen. Wir brauchen den positive Spin.”
Dembowski schluckte. Erst den restlichen Alkohol runter. Und dann die Nachricht.
“What the fuck? Was mit den MLS-Plänen?”
„Wir dürfen Sie erinnern, dass diese niemals über den Verein gelaufen sind. Dembowski, Sie sind raus. Der Plan ist hinfällig. Der Verein ist am Arsch. Und wir brauchen postitive Nachrichten. Die Liga braucht postitive Nachrichten. Sie und Ihre MLS-Pläne. Wir sind nicht mehr Sie. Wir koppeln unsere Entwicklung von Ihren Prognosen ab. Wir fangen an, wieder unsere eigene Geschichte zu erzählen.“
„Echte Liebe“, gähnte Dembowski.
„So soll es sein. Besser als ihre alkoholgeschwängerten Expansionsstrategien. Erst gehen wir nach Asien, und später in die USA.”
Am nächsten Nachmittag, als Dembowski gerade aufwachte, wehte ein Hauch um die Überbleibsel des zweiten Leuchtturms. Im Fernsehen sprach Watzke von Reus als „Hotspot“, bei seiner Netzschau blickte der Ermittler in das große schwarze Loch, das eben jene Sprache über den Fußball gestülpt hatte, und in England verkündeten sie einen neuen TV-Deal. Dort war der Wahnsinn schon weiter vorangeschritten.
Die Traditionalisten warteten weiter auf den Untergang. Die Nachgeborenen erfreuten sich den neuen Reichtümern. Die, die es schon immer gewusste hatten, waren für eine Moment wirklich erstaunt, ordneten sich dann aber wieder ein.
Und Dembowski wartete auf Ayse Güllü, die ihm schon bald den „Ermittler des Jahres“-Titel aberkennen würde. Ein Kronen noch und dann würde sie hier sein. Der Prozess war längst eröffnet worden.
Und Dembowski wartete auf Ayse Güllü, die ihm schon bald den „Ermittler des Jahres“-Titel aberkennen würde. Ein Kronen noch und dann würde sie hier sein. Der Prozess war längst eröffnet worden.
“To the one true God above: here is my prayer. Not the first you’ve heard, but the first I wrote.”
Auftritt Güllü. “Herr Dembowski, wir müssen da noch einmal reden.”
„And in the end the love you take is equal to the love you make.”