Was war Komik? Wie wurde man Komiker? Diese Fragen konnte der Jogi-Doppelgänger im Tante Käthe nicht beantworten, und war auch sonst wenig unterhaltsam.
Für die Halbzeit hatten sie Jogi geholt. Er sollte witzig sein. Er sollte Freude versprühen und die WM-Stimmung in den Mauerpark tragen. Es war tragisch, niemand lachte, niemand interessierte sich für den zweitklassigen Komiker. Alleine die Kamera, die auf ihn gerichtet war, sollte die überragende Atmosphäre im Tante Käthe dokumentieren.
Sie hatten Tante Käthe verlegen müssen. War es 2012 noch im hinteren Teil des Mauerparks und nur über einen 800 Meter langen Kiesweg zu erreichen, so befand sich der Bretterbiergarten nun bereits an der Brunnenstraße, direkt neben dem Mauersegler. Eine von unzähligen WM-Locations in Berlin. Nur eine weitere. Aber keine schlechte.
Endlich hatte ich den Tag genutzt, und das Campo Dembowski verlassen. Eine dunkle Wolke lag über der Stadt als ich durch meinen alten Kiez spazierte. Überall standen die Polizeiwannen. Ich machte mir Sorgen um Piotr, als aus der Einfahrt ein paar Polizeibeamten kommen.
„Was ist denn hier los?“ „Herr Dembowski, schön, sie mal wieder zu sehen. Der Innenminister kommt.“ „Terrorbekämpfung? Hier im Kiez?“ „Dembowski, Sie sehen schon wieder Gespenster. Es wird ein schöner Spaziergang.“
Immerhin hatten sie auf der Soldiner geflaggt. Eine riesige Deutschland-Fahne spannte sich an zwei Häuserfronten entlang, nur vereinzelt sah man Brasilien- oder Kroatienfahnen. Die komplette Abwesenheit der Farben Ghanas überraschte mich. War der Prince in seiner Heimat nach der Niederlage gegen die USA bereits aufgegeben? Der Sache würde ich noch auf den Grund gehen, beschloss ich, aber nicht heute, da die ersten Trinker mir aus dem Oldie-Eck ihre Willkommensgrüße rüberschickten.
Ich war hier nicht mehr der gern gesehene Gast, der ich früher einmal war. Ich war der Ermittler, und mehr als suspekt. Sie riefen mir wüste Beschimpfungen über die Straße, und ich drückte mich die Mauern entlang. Das hier war meine Hood, doch langsam und stetig war sie mir aus den Händen geglitten. Ich hatte es nur nicht bemerkt.
An der Panke-Brücke zog ein Altwarensammler seine Ware hinter sich her. Es war an der Zeit, diesen Ort zu entlassen. Die Panke hinauf, den Weg, den ich damals vor meinem ersten Treffen mit Frank Berg gegangen war, in den Hinterhöfen der Wollankstraße die Deutschland-Flaggen, über dem Rückhaltebecken stieg ein einsamer Flieger. Noch einmal drehte ich mich um, und überblickten den Soldiner Kiez, der scheinbar friedlich in der Sonne schlummerte.
Beim Zauberer saßen sie selben Leute, die dort seit Tagen saßen und sich mit Bier die WM vertrieben. Manchmal lachte einer, doch sie hatten alles gesagt, hatten alles gesehen und warteten auf die Sensation. Belgien lag bereits viel zu lange 1:0 zurück. Das Hipster-Team enttäuschte, wie nur ein Hipster-Team enttäuschen konnte. Sie zerbrachen an der Favoritenrolle. Bis Kevin de Bruynes Flanke in den Strafraum segelte, und Marouane Fellaini, der wie so viele seiner Manchester United-Mannschaftskameraden eine unterirdische Saison gespielt hatte, wie die Kommentatoren auf den Öffentlich Rechtlichen nicht müde wurden zu betonen, höher stieg als die algerische Abwehr.
Die Renaissance der Flanken aus dem Halbfeld hatte die Hipster erreichte. Die Zauberbelegschaft sprang müde auf, und nickte als gegen Ende des Spiels das 2:1 fiel. „Belgien hat das Spiel gedreht“, jubelte Oliver Schmidt und die Zauberbelegschaft kaufte sich ein neues Bier. Nur noch 60 Minuten bis zum Anpfiff der Partie Mexiko gegen Brasilien.
Im Tante Käthe hatte es sich längst rumgesprochen, dass da in Mexiko das Fernsehen so viel besser ist. „Vanessa Huppenkothen“, raunten sie sich zu und im nächsten Moment verachteten sie Cathy, die, so hatte ich vorher der Tagespresse entnommen, die „meistgehasste Spielerfrau“ der WM war. Huppenkothen war aber jetzt bereits die weltweit beliebteste Moderatorin, vernahm ich.
Hinter mir wurden die Grundlagen des Spiels vermittelt. Abseits und der ganze Kram, über den man sich als Fußballfan so gut lustig machen konnte. Aber nicht jeder kannte die Regeln, und meine Wut und Verachtung sparte ich mir doch für andere Dinge auf. Es gab immer was zu tun, doch das hier war definitiv nicht mehr meine Baustelle.
Brasilien kam nicht richtig ins Spiel, war umständlich, verlor viele Bälle im Mittelfeld, durfte sich mehrmals auch beim Schiedsrichter bedanken, doch Mexiko zielte aus der Ferne zu ungenau. Und kamen die Gastgeber doch einmal durch, stand dort Guillermo Ochoa, der das Spiel seines Lebens machte.
Einmal gegen Brasilien, einmal bei der WM gegen Brasilien, einmal gegen Brasilien bei deren Heim-WM, und einfach alles halten, diesen letzten Kopfball magisch anziehen. Dieser Blick danach, dieser Adrenalin-Stolz in seinen Augen. Es blieb mir ein Rätsel, warum er bei der letzten Ecke nicht nach vorne stürmte. Er hätte getroffen, und hatte mich so auf ganzer Linie enttäuscht.
Südkorea und Russland ließ ich ihre Weltmeisterschaft alleine ausspielen, sie würden es auch ohne mich schaffen.