Immerhin wachte ich früh auf und zog mir das Spiel ohne Kommentar von Gerd Gottlob noch einmal rein. Immer wieder spielte ich diese eine Szene an, in der Müller seinen Fuß rausstellt, den Schuß von Bruno Alves blockt, sich um ihn herumwindet, und den Ball zum 3:0 im Tor versenkt.
Ich war beileibe kein Deutschland-Fan, das war mir klar, aber ich erkannte eine gute Situation, wenn sie passierte, und ich erkannte, dass, wenn ich ein neutraler Fan wäre, dieser Müller mir zusagen würde. Und so beschloss ich, denn ich war noch verkatert, aber es ging, vielen Dank der Nachfrage, fortan das Spiel zu trennen. Wirklich zu trennen, von den restlichen Geschehnissen dieser WM.
Das war mir bereits bei dem Spiel der Niederlande gelungen, und es würde mir jetzt auch wieder gelingen, dessen war ich mir mehr als sicher.
Es war in der Tat beeindruckend, wie Löw seine Mannschaft auf dieses Spiel eingestellt hatte, wie auch seine Marschroute, die einem frühen Führungstreffer basierte, ausgegangen war. Dass Mario Götze bei dieser WM nach dem Ausfall von Reus eine gute Rolle spielen würde, das hatte ich erahnt und dass diese Offensive weiterhin unfassbar stark aufgestellt war, konnte man, nicht einmal ich, verkatert, verneinen.
Portugal hatte einen gebrauchten Tag erwischt, Müller seine Rolle als „herumstreunender Neuner“ wieder einmal klassisch interpretiert. Er nannte sich Raumdeuter, und stakste von hier nach da, war letztendlich ein klassischer Mittelstürmer, der seinen Job recht frei interpretierte.
Nicht einmal bei der Roten Karte konnte man ihm aus neutraler Sicht einen Vorwurf machen. Klar hatte er sie gezogen, jedoch nur weil Pepe sich unfassbar dämlich angestellt hatte. Es war gut so. Und mit den Deutschland-Fahnen und der Euphorie der Party-Patrioten musste ich mich jetzt, da das Achtelfinale bereits gebucht war, abfinden.
Womit ich mich jedoch weiter nicht abfinden konnte, war die Berichterstattung der großen TV-Sender. Meinte die ARD eigentlich, dass eine ganze Nation – vom Public Viewing und dem herumstreunenden Neuner betäubt – auf ihre Moderatoren reinfallen würde?
Niersbach durfte sich in den Interviews nach dem Spiel kurz äußern, wie ich mich erinnerte. Und natürlich war er begeistert, und natürlich ging es jetzt nur noch um den Titel, und Müller war längst Torschützenkönig. Geschenkt. Kurz angebunden war Niersbach dann bei der Frage zu Theo Zwanziger. Kaum eine Antwort. Schalte zurück nach Rio. Und Opdenhövel wollte nicht über Politik reden. Das habe mit Fußball nichts zu tun, Scholl nickte eifrig.
Wenig später kündigte er die Vorberichte zum Spiel Nigeria gegen Iran mit den Worten „in diesen Ländern kann es keinen Frieden geben“ an. Nach dem wirklich wenig erbaulichen Unentschieden der beiden Außenseiter ging es mit der unpolitischen Berichterstattung weiter.
Wir sahen die Indianer im Regenwald, die durch glückliche Umstände auf den rechten Pfad geführt wurden, und, obwohl sie beinahe zu spät zum ordentlichen Public Viewing im Regenwald gekommen waren, später doch noch einen tollen Tag erlebten, „denn deutsche Tore machen glücklich“, auch den Indianer im Regenwald. Wir war waren schon ein tolles Land. Man musste sie ignorieren, aber man konnte nicht. Man sollte nur noch Fußball schauen, aber ging nicht.
Für mehr Fußball in meinen Gedanken, dachte ich, und sah wie Jay Brooks den Ball über die Linie drückte, in Richtung Eckfahne rannte, und dort vor Glück zusammenbrach.