Bevor das Turnier beginnt, sind sich die Besucher des Café Kings einig: Wir können die schlagen! 

Die WM hat begonnen. Irgendwie. Auch wenn sich auf den Sandstraßen rund um das Campo Dembowski die Euphorie noch in Grenzen hält. Klar, hier und da lassen sich die Eingeborenen mit großen LKWs ihr Bier liefern. Dann wird es kurz laut, dann rumpeln sie durch die Schlaglöcher. Der Metzger rast hinterher. Will auch ein gutes Geschäft machen. „Erst am Montag,“ sagen sie ihm dann.
Die WM hat begonnen. Irgendwie. Auch als ich mich vom Campo Dembowski runter zum Café King in der Rankestraße schlage, bekomme ich vom nahenden Auftakt wenig mit. Manchmal laufen einige Kinder im Brasilien-Trikot über die Straßen, und manchmal steht ein beflaggtes Auto im Stau. Es wirkt verloren. Ein Sommermärchen-Überbleibsel. Auch im Soldiner Kiez, dem Herz der Nachwenderepublik, bemüht man sich bislang wenig um WM-Stimmung. Ein paar versprengte Kroatien-Fans laufen nachmittags ziellos die Panke hoch, und die Panke wieder runter. Das groß angekündigte Public Viewing im Auffangbecken beginnt maximal bei Anpfiff.
Zeitgleich dementiert Joachim Löw sämtliche Marketing-Aktivitäten im 9.200 Kilometer entfernten Campo Bahia, gelegen im 800-Seelen-Örtchen Santo André.
„Wir haben keine Aktivitäten mit einem Sponsor gemacht. Wir hatten einen Vortrag mit Mike Horn, einem Abenteurer. Hochspannend. Der beste Vortrag, den wir je gemacht haben. Das war eher so eine Maßnahme für die Mannschaft“, sagt der Bundestrainer während ihm fernseh- und sponsorengerecht ein Espresso aus dem Fastfood-Restaurant serviert wird.
Sao Paulo police taking part in World Cup security in a briefing on final instructions. (Photo: handout from PM) pic.twitter.com/C7nPuv6hCJ
— Gabriel Elizondo (@elizondogabriel) 12. Juni 2014

In Sao Paulo angekommen fürchtet sie Cathy. Doch schnell findet sie ihr Lieblingscafé und besorgt sich schnell einen Soja Latte. Die Anspannung fällt ab. Außerhalb der Cathy-Welt werden erst einige wenige Polizisten gebrieft, und wenig später zwei CNN-Reporter verletzt. Rund um das Stadion bleibt es ruhig. Die Proteste werden erst gar nicht dorthin getragen.
Auch auf den Straßen der Hauptstadt passiert wenig. Noch am Morgen hatte eine Gruppe den adidas-Flagstore in Mitte angegriffen, doch der Polizei war es schnell gelungen, weitere Ausschreitungen in der Stadt zu verhindern. Vorerst bleibt das Campo Dembowski somit der sicherste Ort der Welt.
Im alten Westen, dort am prächtigen Ku‘damm sitzen die Touristen in der Abendsonne, lassen sich von Clowns Rote Karten zeigen und lachen herzlich, als ein Fahrradfahrer in den Clown rast und beide stürzen. An der Ecke Rankestraße / Augsburger Straße wartet ein BVB-Fan im Subotic-Trikot auf das nächste Pokalfinale, auf das nächste Champions League-Finale.
Nur wenige Meter weiter jedoch, im legendären Café King stimmt ein kroatischer Alleinunterhalter unüberhörbar auf das Eröffnungsspiel ein.  Während auf den Flachbildschirmen die Übertragung der Eröffnungsfeier läuft, wird die Stimmung mit jedem Schlager, mit jedem Tastenschlag besser. „Wir können die schlagen“, erzählt mir einer der Betreiber. „Wir können die wirklich schlagen!“
Alle sind sie gekommen. Die Kroatien-Ultras steigen aus ihren Limousinen, und von der gegenüberliegenden Feuerwache ernten die Gesänge anerkennendes Kopfnicken. Eine alte Dame kratzt sich am Kopf. „Was ist denn hier los?“ „Kroatien. WM-Auftakt!“ „Viel Erfolg. Ich drück die Daumen!“
Die Musik wird immer lauter, und die Reservierung ist wenige Minuten vor Anpfiff hinfällig. Ein paar Kroaten sitzen auf den fürs Campo Dembowski reservierten Plätzen. Doppelbuchung. Der Betreiber spendiert noch schnell ein Bier, doch der WM-Auftakt im Café King ist ein Fehlschlag, schon  Auf zur nächsten Bar, auf zur nächsten Kneipe, irgendwo das verdammte Spiel sehen.
„Dit die feinen Herren mich ma wieder beehren“, sagt Birgit. Und das Spiel beginnt. Kroatien kann wirklich gewinnen. Früh gehen sie in Führung, und auch nach Neymars Ausgleich läuft alles auf ein Unentschieden hinaus. Bis erst Kroatien einen klaren Elfmeter nicht bekommt, und wenig später Fred zu Boden fällt. Die verbliebenen vier Gäste in Birgit’s Pub ärgern sich, Bela Rethy ärgert sich, die Welt ärgert sich, aber Neymar trifft, später gelingt Oscar noch das 3:1.
Für einen kurzen Moment ist in Brasilien die Welt in Ordnung. Der Rest wundert sich. Die FIFA schlägt Café King. „Der Fußball schafft sich ab“, denke ich und blicke auf den Mond über Witzleben.