In der Meisterredaktion gibt mir Reiser den üblichen Reiser-Bullshit. Ich frage mich, ob der überhaupt noch an seine Worte glaubt oder ob er sie nur noch fremdgesteuert in den Raum wirft. Er wirkt erschöpft während er mir seine Sicht der Dinge schildert. Es sind keine Neuigkeiten, die er dort oben auf der Empore verbreitet. Vorne gehen die Bestellungen über die Theke und irgendwie habe ich das Gefühl, nicht in einer Meisterredaktion, sondern in einer Hinterstube des örtlichen Recyclingbetriebs zu sitzen. Reiser redet und redet und redet, ich nicke und nicke und nicke.

Abends bin ich mit Ritchie verabredet. Wir treffen uns in Kater Karlos Etablissement. In den vergangenen Wochen, in den vergangenen Monaten, sicher sogar in den vergangenen Jahren stand dort die Zeit still. Ritchie hängt in voller Ledermontur über dem Tresen und sucht mal wieder sein Handy. Er hat sicher schon ein paar gehabt. Sonst ist der Laden leer, hinter der Theke geht Kater Karlo wieder seine Zulassungen durch. Über die Anlage dröhnt der übliche Schlagermist, den man in solchen Läden immer wieder zu Ohren bekommt. Ob in der Kneipe, ob im Leeds, ob bei Kater Karlo. Auf der dunklen Seite hört man Schlager. Ich setze mich zu Ritchie, der mich überhaupt nicht wahrnimmt. Karlo geht weiter seine Zulassungen durch, mir bleibt Zeit, die Schlagertheorie weiterzuspinnen.

Die Tür geht auf, Ritchie hängt gerade unter dem Tresen und hat sein Handy wohl zu Griff bekommen. Er schaut hoch, Karlo blickt jetzt auch von seinen Büchern hoch. Sein Blick trifft erst mich – Kopfnicken – und dann auf die vier eintretenden Blauen – Kopfschütteln. „Was wollt ihr hier?“ ruft er rüber. „Mach mal vier Pils klar! Und vier Kurze!“ antworten sie. Wirt ist Wirt und Umsatz Umsatz. Ritchie schaut auf, sein SIN-Tattoo schimmert im blauen Neonlicht. „Hey Dembowski. Hab Dich gar nicht kommen sehen. Verfluchtes Handy. Karlo mach mal noch ne Runde für uns!“. Wir unterhalten uns über Reiser, die Blauen werfen auf die Scheibe und Karlo hat sich wieder seinen Büchern zugewendet.

Das Gespräch ist jetzt beim Abendspiel. „Man U wird die Drecksblauen heute abschießen. Endlich. Diese verrottete Stadt ist unerträglich….“ „Was?“ mischt sich einer der Blauen ein. „Was? Das Drecksblaue überhöre ich gerne, aber unsere Gäste solltest du nicht beleidigen. Man sagt nicht Man U. Das ist eine Beleidigung.“ „Hör auf, ist es nicht.“ „Doch ist es. Aber so versoffen wie du bist, wirst du das nicht wissen. Es ist eine verdammte Beleidigung. München 58. Sagt dir das was, Ledervogel?“ Ritchie springt vom Hocker auf. Schnappt den Wortführer am blauweißen Kragen und drückt ihn gegen die Dartscheibe. In sein Trikot hämmert er ein paar Pfeile. Der Wortführer baumelt an der Dartscheibe. Die 3 übrigen Blauen verziehen sich langsam. Ihnen ist das nicht geheuer. „Du bescheuerter Blauer, Du ewiger Versager. Hast Du vielleicht mal Forever a Babe gelesen? Hast Du dich damit überhaupt beschäftigt? Hast Du überhaupt jemals ein Buch gelesen?“ Ritchie zimmert ihm seine Sündenlinke mitten ins nicht mehr so neunmalkluge Gesicht. Blut spritzt aus der Nase. Doch Ritchie lässt nicht von ihm ab. Linke um Linke landet im blauen Gesicht. Der Körper baumelt schlaff an der Dartscheibe. Ritchie reißt ihn runter, die Sündenlinke stemmt den Blauen am Kragen in Richtung Tür. „Dembowski, mach die Tür auf!“ Der Blaue landet auf der Straße.

„Sag mal, Karlo, hast Du dafür überhaupt auch ne Zulassung?“ fragt Ritchie nachdem er von der Toilette zurück ist. Karlo grinst und stellt uns noch ein Gedeck auf den Tisch. „Lass mich mal in den Büchern nachschauen.“ Ich greife über die Theke, schnappe mir die Fernbedienung und schalte auf ZDF. William & Kate, der zweite Teil. Endlich wieder königliche Hochzeit, endlich wieder Harmonie. Aus der Turnhalle hören wir nur Schreie des Entsetzens.