Schlaflose Nächte lagen hinter mir. Ich verbrachte sie am Küchenfenster sitzend, auf die mal startenden, dann landenden Flugzeuge blickend. In dem kleinen Zeitfenster ohne Flugzeuge öffnete ich das Fenster, hörte durch die Stille der Nacht den einsetzenden S-Bahn-Verkehr. Der Wind wehte aus Osten, zwar drangen die Ansagen nicht von der Bösen Brücke zu mir herüber, doch wenn ich ruhig war, und das war ich in durchmachten Nächten immer, konnte ich die anfahrenden Züge leise durch die Nacht dringen hören. Meine Erschöpfung nötigte mich zur Ruhe, doch die angesparten Kräfte würde ich in Dortmund brauchen.

War ich ehrlich zu mir, hatte ich seit Tagen keine anderen Gedanken mehr gehabt. Es ging um die Fahrt nach Dortmund, es ging um das Wochenende in Dortmund, es ging um die Kneipe und es ging natürlich und in erster Linie um Borussia. Erst einmal hatte die Wirtin mich gebeten, endlich mal für gute Musik in der Kneipe zu sorgen. Natürlich würde ich diesem Wunsch nachkommen und den Ermittler-Soundtrack zum hoffentlich erfolgreichen Wochenende in die Fußballhauptstadt tragen. Natürlich würde ich das erste Lied dem großen Levon Helm widmen. Helm hatte es mit 71 nicht mehr auf der Erde gehalten. Noch letzte Woche aber hatte ich sein Lied gesungen, in der Version, die uns Borussen in die Wiege gelegt wurde. Levon Helm zu Ehren jedoch würde ich das Original spielen. The Night They Drove Old Dixie Down! Redermann würde sich natürlich die Muppet-Version wünschen, er hatte einfach keinen Anstand.

Borussia, Borussia! Borussia, Borussia! Jetzt stand ich auf dem Balkon und unterhielt den erwachenden Kiez. Die Sachen waren gepackt und ich war reisefertig. Irgendein Zug würde ich schon erwischen und dann war ich da, wo ich lange nicht mehr zuhause war, wo aber immer noch ein Teil meines Herzens zu finden war. Der Geruch der Lindemannstraße, der Weg unter der Brücke, der kurze Stopp am U-Bahn-Kiosk. Das war alles in mir drin und für den Rest meines Lebens nicht mehr zu ändern. Durchschritt ich dann die Stadiontore war es um mich geschehen. Die Zeit am Samstag würde ich wie im Rausch erleben und auch wenn eine Enttäuschung keineswegs ausgeschlossen war, so würde ich die Zeit im schönsten Stadion der Welt auskosten.

Aber natürlich hoffte ich auf einen nicht abreißenden, leuchtenden Menschenstrom auf der Lindemannstraße. Es war wichtig, dass ich in dem Strom der Menschen dann den Langen ausmachte, um ihm für die Punkte der Saison zu danken. Für den Langen hatte ich, auch um ihn zu beschwören, auch ein Lied rausgesucht. Die Weakerthans mit Jim Bryson mit einem meiner absoluten Lieblingslieder: Freeways In The Frontyard. Vor langer Zeit hatte der Lange mich darauf aufmerksam gemacht und so war es eigentlich auch erst zu der Siegesserie der Borussia gekommen. Manchmal war der Lauf der Dinge wundersam. Manchmal war der Lauf der Dinge voller Schönheit! Und immer war der Lauf der Dinge an Borussia gekoppelt! Nächster Halt: Dortmund Hauptbahnhof!