Mit einem Tee der Kälte trotzen. Der Ermittler offenbart zum Wochenanfang eine überraschende Seite


Immer wenn das Lewandowski-Gerücht hochkam, brachten die informierten Medien DerSamstag! ins Gespräch. Es war das Schicksal der Meinungsmacher. In sinnentleerten Diskussionen wurde über Gehälter, Ablösesummen und Vertragslaufzeiten spekuliert. Nun war DerSamstag! bereits seit Dezember informiert, die entsprechenden Papiere lagen meiner bescheidenen Zeitung zwar nicht vor, aber ich war über die Existenz dieser Papiere aufgeklärt worden. Das, im Gegensatz zu den üblichen Spekulationen, war handfest.

An Spekulationstagen stand mein Telefon nicht mehr still. Ich gab mir nicht einmal mehr Mühe, den aufgeregten Fragen der Journalistenkollegen so etwas wie Verstand entgegenzuhalten. Ich hielt es dann wie mein neuer Kumpel Säbel, dessen Worte „die Fakten liegen auf den Tisch, soll sich jeder seine Meinung bilden“ mittlerweile zu 100% in meinen Wortschatz eingeflossen waren. Was mich jedoch wirklich nervte: Die Anrufe störten meinen ruhigen Tag bei Teenage Kicks PR. Das Wochenende hatte seine Spuren hinterlassen. Wo hätte ich mich besser erholen können als in meinem Praktikantenjob in der Musikindustrie?

Sölden war mal wieder auf Reisen und so spazierte ich am frühen Montag die Osloer Straße entlang, dann über die Böse Brücke hinüber und stieg direkt danach die paar Treppen zur Kirschbaumallee hinunter. Im vergangenen Jahr standen die Bäume in den ersten Januar-Tagen bereits in voller Blüte, doch nicht nur der über Nacht gefallene Schnee hatte dies im Jahre 2013 verhindert. Hinter der Mauer scherten die S-Bahnen aus dem Ring aus. Auf der anderen Seite kreuzten die aus Norden kommenden Bahnen am Gesundbrunnen kurz die Ringbahn, nur um hinter dem Humboldthain für eine Weile im Tunnelsystem der Stadt zu verschwinden. Die Fahrradstraße vor dem Büro war mit dem nassen Matsch des frisch gefallenen Schnees überzogen.

Oben im Büro legte ich The White Birch auf. Man konnte Sölden einige Dinge vorwerfen. Seine Kleidung und auch sein Musikgeschmack gehörten nicht dazu. Beides war mit Sicherheit ein wenig dated, aber es hatte zweifelsohne Stil. The White Birch hatten in den 00er-Jahren ein paar Alben veröffentlicht, und wen es auch zur großen Karriere nicht gereicht hatte, so war es Ola Flottum und seinen Mitstreitern durchaus gelungen, ein paar Spuren im Slowcore zu hinterlassen. Mit Beauty King hatten sie sogar einen kleinen Hit zu verzeichnen.

Der Wechsel zwischen dem hektischen Fußballalltag, meinen ausgiebigen Bemühungen an Material für Frank zu kommen und dem ruhigen Geschäft in einer abgewirtschafteten Promo-Klitsche hätte nicht größer sein können. Natürlich gab es hier die Hausierer, die Schnorrer, die Begeisterten. Manchmal brannte ein Label noch für seine Künstler, sah in der Tat realistische Chancen, ein paar Einheiten zu verkaufen. Ansonsten regierte jedoch der Zynismus. Die meisten Labels hatten irgendwann in den 80er oder frühen 90ern ihre ersten Veröffentlichungen auf den Markt geschmissen und wollten jetzt noch bis zur Rente weitermachen.

Die größten Veröffentlichungen der Labels, die Veröffentlichungen, die für einen kurzen Moment die Welt verändert hatten, lagen mittlerweile 20 Jahre zurück, standen in der „Anniversary Edition“ auf dem Release-Plan und das galt es also im Rahmen der Pressearbeit zu verwalten. Es war also genau der richtige Job an einem lausig kalten Januartag. Sobald ich genug verwaltet hatte, stellte ich mich ans Fenster, atmete die kalte klare Luft ein und lauschten den Ansagen des S-Bahnhofs Bornholmer Straße. In diesen Momenten war ich ganz bei mir. Ich stand am Fenster, blickte auf die Bahnsteige der Bornholmer Straße, aus dem Büro drangen die ruhigen The White Birch-Passagen kaum zu mir, die Fahrradstraße unter mir war beinahe menschenleer, die Bahnen scherten aus dem Ring aus und wenn ich es drauf anlegte, konnte ich aus den Kirschbäumen ein paar Vogelstimmen vernehmen.

Vogelstimmen im Winter beeindruckten mich immer wieder. Sie waren einfach dageblieben und trotzen den widrigen Wetterbedingungen des ostwindlastigen Berliner Winters. Langsam wurde es kalt, ich schloss das Fenster, setzte mich an den Computer, schrieb ein paar Zeilen über die nächste „Anniversary Edition“ und ignorierte das Vibrieren meines Telefons. Die Lewandowski-Gerüchte hatte noch ein paar Tage Zeit.

Als ich später das Büro verließ, zog es mich zum S-Bahnhof runter. Ich stand noch lange an den Gleisen und schauten den Bahnen hinterher, die für einen kurzen Moment Teil der Ringbahn wurden, nur um wenig später über die Ringbahn hinüber und am Humboldthain entlang in Richtung Tunnelsystem am Nordbahnhof geleitet zu werden. In meiner Thermoskanne war noch ein wenig heißer Tee, ich setzte mich auf das hinterste Ende des Bahnsteigs und trotzte der Kälte. Am Dienstag, das beschloss ich auf den Treppen sitzend, würde ich dem Geheimnis des Punktelieferanten auf die Spur kommen.