Anstatt zum Bahnhof Zoo zu laufen, erreichte Dembowski nach einem kurzen Spaziergang den Lustgarten.
Der ewige Winter hatte auch seine positiven Seiten. Das wurde mir in den letzten Tagen mehr und mehr bewusst. Es blieb genug Zeit für ausgiebige S-Bahn-Fahrten durch die Stadt. Ohne dabei von nervigen Musikern oder Touristen gestört zu werden. Wenngleich mir die Touristen, die es in der Lost Planet-Ausprägung immer mehr auch in den Soldiner Kiez zog, herzlich egal waren und ich das Ignorieren der Bahnmusiker in der letzten Zeit perfektioniert hatte, so fehlten sie mir doch nicht.
Es war mir egal, wenn es die Besucher der Stadt zu den verschiedensten Orten, die immer die touristischsten Orte waren, zog, aber es störte mich, dass sie jedwede Höflichkeit über Bord warfen, rücksichtslos agierten. Mein Krieg mit mir mochte mal wieder vorbei sein, ein neuer Krieg kündigte sich jedoch an und den würde ich gegen rücksichtslose Touristen führen. Es würde, dachte ich, nur ein kleiner Privatkrieg sein, aber dafür garantierte er mir große Unterhaltung.
Es war wieder passiert und deswegen dachte ich überhaupt an diesen neuen Krieg. Ich war, von der Wollankstraße kommend, gedankenverloren am Brandenburger Tor ausgestiegen. Ich musste wieder an meine aktuelle Recherche gedacht haben, bei der ich in den letzten Tagen vor Mauern gelaufen war. Ich wollte mir darüber klar werden, ob es weiter Sinn machte, mit neuem Schwung gegen die Mauern zu laufen, nur um sie, wenn ich nur schnell und oft genug gegen sie anrannte, sie mit meiner bloßen Körperkraft einzureißen.
Während ich so über meine totgelaufene Recherche nachdachte, ein erneutes Anrennen gegen die Mauer für durchaus möglich hielt und dabei am S-Bahnhof Brandenburger Tor ausstieg, um von dort durch den Tiergarten zum Bahnhof Zoo zu laufen, spürte ich auf einmal Widerstand. Vor mir hatte sich eine Gruppe Touristen aufgebaut. Die Gruppe drängelte von allen Seiten durch die Tür der S-Bahn. Alles was ich aber wollte, war aus der S-Bahn aussteigen und durch den Tiergarten in Richtung Bahnhof Zoo laufen. Mit zahlreichen Reiseführern und Kameras und Rucksäcken bepackt, schob sich die Gruppe immer tiefer, immer drängender, immer brutaler in die Bahn hinein. Mich inklusive.
Handlungsschnelligkeit war nicht unbedingt meine Stärke, aber ich musste mich wehren. Ich trat einer Engländerin vors Bein, schlug eine Faust in den Magen eines fettleibigen Amerikaners und nickte in die Richtung eines weiteren Amerikaners, aus dessen Mund der übliche Mist aus „awesome, history und Hitler“ kam. Sie musste es als ein wenig „rude“ empfinden, doch ich hatte mittlerweile eine kleine Menschentraube hinter mir, die nun ihrerseits begannen ihre Frustration über den ewigen Winter, die verspätete Bahn und ihren langweiligen Job an der schockierten Touristengruppe auszulassen.
Mir war es irgendwie gelungen, mich durch die sich nun anbahnende Massenkeilerei zu mogeln. Auf dem Bahnsteig stehend, sah ich nun den Bahnfahrer aus seiner Tür stürmen und in Richtung Wagen rennen. Der Stationssprecher schrie „bitte zurücktreten“ und die frustrierten Einwohner der Stadt verstanden es zu wörtlich, die Touristen überhaupt nicht. Langsam bewegte ich mich in Richtung Ausgang, und dachte, dass ich beim Anrennen gegen Wände niemals auf fiese Tricks verzichten sollte. Egal wann. Dann dachte ich, dass man den Touristen, die immer weniger wurden, endlich einmal ein paar Benimmregeln beibringen musste.
Anstatt in Richtung Bahnhof Zoo trieb es mich über Unter Den Linden in Richtung Lustgarten, der Berliner Dom strahlte vergessen im Wintersonnenlicht.