An der Stelle an der die Wollankstraße in die Pankstraße übergeht, nahm ich mir in einer siebengeschossigen Mietskaserne eine kleine Wohnung. Mit Dörte hatte ich mich arrangiert, so wie man sich arrangiert, wenn der Traum einer Lamafarm im Oderbruch langsam Alltag wird. Sie hatte mich verstanden, es würde sich nichts ändern, nur dass ich hin und wieder zurück in die Stadt fahren würde. Jetzt im Winter gab es draußen im Oderbruch nicht mehr viel zu tun. Die ausgewaschenen Neonlichter der Wollank hießen mich willkommen, von der anderen Straßenseite grüßten die Toten des Friedhofs. Im Zimmer befand sich nichts weiter als eine Matratze, ein Tisch, mein Computer, der Plattenspieler, ein paar Bücher und die neue Dinosaur. Den Kühlschrank hatte ich mit gutem Schultheiss aufgefüllt. 

Vor der Tür wehte der Herbstwind den Laub über den Bürgersteig, morgen staute sich der Verkehr in Richtung Osloer, am Abend wälzten sich die Autos in Richtung Pankow, nur um kurz vor der S-Bahn-Station Wollankstraße zu verschwinden. Wohin sie verschwanden, war mir auch nach den ersten paar Tagen mehr als rätselhaft. Aber das war nicht meine Aufgabe. Am ersten Tag holte ich ein paar Sachen aus dem Hinterzimmer der Samenhandlung, schlich durch die Soldiner, trank ein Gedeck im Oldie-Eck und bis auf ein „Der Ermittler ist auch wieder da!“ blieb alle s ruhig. In der U-Bahn trieben sich immer noch die Verrückten rum. Sie erzählten vom Ende der DDR, ihren Rotweinvorräten, der CIA, Facebook und breiteten ihre Verschwörungstheorien aus. Obdachlose verkauften mit geschulter Stimme die aktuelle Ausgabe der Straßenzeitung, Jugendliche verhöhnten sie in sich stets wiederholenden Schleifen und dazwischen saß ich, der Ermittler, und schaute mit großen Augen auf die Welt, die ich so vermisste hatte. Was Brankhorst wohl sagen würde, dachte ich für einen kurzen Moment, blickte dann wieder auf den U-Bahn-Monitor. Die U8 einmal bis nach Kreuzberg und zurück, den Wagner-Weg.

Und während ich mich durch die Stadt bewegte, sie mich aufnahm, anspuckte und der vertraute Klang der Haltestellen mich einlullte, ging ich meinen Plan noch einmal im Kopf durch. Mit einem Knall zurück, dann Redermann und Amok an Bord holen, ihnen was von neuen Medien erzählen, mich noch einmal bei Redermann entschuldigen, der mich, dachte ich in der Bahn sitzend, an diesem Tag am Flughafen zurück ins Leben geholt hatte. Und dann und vorher und überhaupt: Derby im Stadion. Endlich wieder Fußball. Wie hatte ich die Zeit seit dem Pokalfinale überhaupt ausgehalten? Die Geschichten von Brankhorst, wenn ich nur dran dachte. Wie war ich überhaupt auf die Idee gekommen, dass mir Fußball von jetzt auf gleich nichts mehr bedeuten würde? Manchmal, Dembowski, sagte ich mir jetzt langsam auf die Osloer tretend, bist Du ein seltsamer Kauz.

Ich ging in die erstbeste Kneipe, trank ein paar Bier, jemand erzählte mir von „wie dit früher ma war“ und ich nickte. Früher, dachte ich, während ich das Bier trank, früher hätte mir Komaroff einen Schrecken eingejagt. Immerhin hatte mich der Irre über Wasser gehalten, der mir da gerade von Union erzählte, würde das nicht tun. „Was machst Du überhaupt hier? Mach rüber. Ab in den Osten!“, bläffte ich ihn an, trank mein Bier aus, ging zurück und schaltete den Computer ein.

Im Posteingang fand ich die üblichen Copyrightverletzungen* der sogenannten Fachpresse, die jetzt im Namen der Blauen von der Wachablösung schwadronierten; ein paar wirklich freundliche Mails, die ein DerSamstag!-Comeback forderten; wirre Gedanken von Reiser, der mal wieder ein Bier mit mir trinken wollte; die letzten Nachrichten aus dem Camp der Nationalmannschaft und einen Hinweis von Amok, den ich wie immer nicht deuten konnte. Er sei dabei, hieß es am Ende. Und das war mir wichtiger als jeder Hinweis.

Gegen 10 klickte ich mich ins Länderspiel, Deutschland hatte gerade das 4-0 geschossen, Ding gegessen. Ich zündete mir eine Ernte an, öffnete noch ein Schulle und ärgerte mich irgendwie. Die Sache mit Schmelzer, die ganze Art der Mannschaft, die unzähligen Bayern auf dem Platz. Ich wollte eine Niederlage sehen und bekam, so erzählte Tom Bartels, das beste Spiel einer Nationalmannschaft seit mindestens Argentinien 2010. Ich drehte die Dinosaur auf, gerade als Tom Bartels Marco Reus eine saubere Leistung attestierte. Jetzt, so Bartels, könne Reus sich aber auch mal aufs Derby vorbereiten. Da verlor Reus gerade einen Zweikampf an der Mittellinie, die Saat war ausgetragen. Bartels holte sicher die wohlverdiente Ernte ein, ich sah nur die Tore, und J sang für mich. „Waiting on the shelf / I don’t need it, but it helps / waiting, easy friend / I’d explain but you just stare / I know, I know / waiting, waiting, waiting“, dann verlor er sich im Feedback und Deutschland die Kontrolle. Tor um Tor. Dem Traum vom Albtraum näher kommen. Immer näher und immer näher, bis nach dem Foul, dem Tor, dem Hilflosen Zucken der Lahmschen Schulter alles gesagt war.

Zeit für einen ersten Kommentar, die neuen Medien machte es möglich.

Löw wie Doll
(berlin/16.10.2012)Führungsspielerdiskussion! Was das jetzt schon wieder ist! Man muss das Wort Führungsspielerdiskussion nur schreiben, um zu spüren: Muss man das Wort schreiben, ist es zu spät. Ein Blick auf die Aufstellung der deutschen Nationalmannschaft genügt, um die Diskussion und die Diskussion über die Diskussion ins Leere laufen zu lassen. Es gab genug Warnungen. Es gab zu viele Warnungen. „Wir werden das jetzt knallhart analysieren“, sagte Oliver Bierhoff, erinnerte dabei an Thomas Doll in seiner Dortmunder Endphase. Die letzte Bundesliga-Station Dolls bleibt auch in der Folge der zwingende Vergleich. Löws Abwehrroulette wurde in den letzten 10 Jahren nur von eben jenem „Arsch ab“-Trainer getoppt. Thomas Doll verschwand in einem Porsche. Womit und wann wird Jogi Löw verschwinden? (dembowski für DerSamstag!)

Es war nur ein erster Kommentar und sonderlich zufrieden machte mich der nicht, immerhin aber hatte ich ein wenig Licht in die Diskussion bringen können und mich an die Spitze einer Diskussion gesetzt, die ich überhaupt nicht führen wollte. Immerhin, sagte ich mir, hat Löw Dortmunder beleidigt, und Dortmunder, und ich war Dortmunder, waren wie Elefanten, sie konnten nicht vergessen. Doch würde die DerSamstag!-Stimme noch gehört werden und interessierte mich das überhaupt? Es war Derbyzeit, ich trank noch ein paar Schulle und J spielte weiter seine Lieder.

* Kurios: Der erste Wachablösung-Kommentar erschien vor knapp einem Jahr, ebenfalls in einer Derbywoche. Dieser bezog sich naturgemäß nicht auf die Wachablösung im Ruhrgebiet, vielmehr auf die gesamte Liga. Ganz im Gegensatz zur von der sogenannten Fachpresse im Oktober 2012 ausgerufenen Wachablösung,  war die damals verkündete Wachablösung nicht nur zwangsläufig, sondern zum damaligen Zeitpunkt – im November 2011 – Grund dafür, die Konstrukteure als verblendete Idioten zu disqualifizieren. Sicher nicht nur von der Fachpresse, aber auch von ihr. Da bin ich mir sicher.