Was ist Glück? Ein Sommer auf der Lamafarm? Ein Leben im Soldiner Kiez?
Ende Juli. Es war Zeit, den Sommer auf der Lamafarm endlich zu vergessen, hinter mir zu lassen. Viel zu lange war ich in der Einöde des Oderbruchs gefangen, lieblich und zaghaft geworden. Natürlich hatte DerSamstag! in all der Zeit nicht geschlafen, in der Tat sogar für ein wenig Wirbel und Vernunft inmitten der ganzen Wirren des Transfersommers gesorgt, doch konnte das alles sein?
Natürlich nicht.
Ich konnte mich kaum noch an meinen letzten Berliner Rausch erinnern und wenn ich auch auf der Lamafarm mittlerweile ein paar gute, versoffene Abende gehabt hatte, so brauchte ich den Dreck des Soldiner Kiez, um wirklich atmen zu können. Koi war mir zwar ein guter Gefährte geworden, auch hatten die Lamas mich nach der anstrengenden letzten Saison runtergekühlt, und meine Liebe für Dörte und ihre absurden Einfälle war größer denn je, doch konnte das alles sein?
Natürlich nicht.
Die Realität hatte mich in den vergangenen zwei Monaten seit dem verlorenen Endspiel gegen die Bayern selten gestreift. Und wenn sie es getan hatte, waren es die unsäglichen Bemühungen eben jener Bayern, mir auch mein letztes Hemd, meinen letzten verbliebenen Freund, den liebenswertesten Karpfen der Welt zu nehmen. Es war ihnen, aber dazu werde ich mich erst nach abgeschlossenen Ermittlungen äußern können, beinahe gelungen. Jetzt aber stand der August und somit die Rückkehr der Bundesliga unmittelbar bevor.
Es war also an der Zeit, Abschied zu nehmen. Dies tat ich während im Osten die Sonne in den schönsten Farben aufging. Der Oderbruch war in ein sanftes, beruhigendes Morgenrot gehüllt, als ich mich zum Abschied noch einmal umdrehte und Dörte mir „Koi, Koi, Koi! Komm bald wieder, Ermittler!“ zurief.
Wie immer spazierte ich die paar Kilometer am Treidelweg entlang, grüßte ein paar Jogger und die Angler. Sie grüßten zurück und wünschten mir „Koi, Koi, Koi in der Hauptstadt“, riefen mir bald „komm schnell wieder, Dembo. Wir brauchen Dich!“ hinterher. Längst war ich im Oderbruch angekommen. Die Menschen, die ich in den letzten Monaten hatte kennenlernen dürfen, die mir mit ihren Geschichten, ihren Anliegen und Eingaben den Sommer versüßt hatten, waren mir in der Tat ans Herz gewachsen. Doch konnte das alles sein?
Natürlich nicht.
Im Regionalexpress nach Berlin köpfte ich die erste Flasche, voller Vorfreude auf einen Briefkasten voller Rechnungen und Mahnungen. Es hielt sich in Grenzen. Die Geschäfte liefen besser als erwartet, die DerSamstag!-Abrechnungen begannen sogar Freude zu machen. Während sich ein Großteil der Medienbranche im Irrgarten der digitalen Revolution verlor, setzten wir ihnen einfach Qualität und Phantasie entgegen.
Unter all den Rechnungen, Mahnungen und Abrechnungen fand ich auch eine Postkarte von Winowski, den es auf seiner Flucht nach Bangkok verschlagen hatte. Er schloss seinen Urlaubsgruß mit den Worten „David lässt schön grüßen“. Es war gut zu wissen, dass er sich um den Jungen aus Bünde kümmern würde.
Schnell brachte ich mich auf den aktuellen Stand der Dinge. Weniger als zehn Tage vor dem Beginn der 51.Bundesliagspielzeit lag nicht nur mein Herzensverein eindeutig auf Kurs „Überraschende Meisterschaft“, sondern vielmehr malte ich mir die vielen wunderbaren Geschichten der kommenden Saison aus.
Der HSV lag in den letzten Zuckungen, würde mit dem Duo Kreuzer und Fink weiter in Richtung Abgrund taumeln; die Blauen sprachen seit Wochen scheinbar nur noch über Julian Draxler, der ein unfassbares Angebot ausgeschlagen hatte (was nach DerSamstag!-Informationen niemals existiert hatte) oder die Abschaffung aller Denkverbote. Auch hier war eindeutig Potential.
Die Kollegen aus Leverkusen forderten eindringlich die Einführung von Play-Offs, um Chancengleichheit zu gewährleisten. In Stuttgart teerten und federten sie Bruno Labbadia bereits vor dem ersten Spiel; in Berlin hatte Ronny sich ein wenig Winterspeck angefuttert; in Frankfurt bemühten sie sich seit Monaten um einen Stürmer und bei den Bayern lief auch alles nach Plan.
Am Abend setzte ich mich auf meine Lieblingsbank an der Panke, beobachtete, wie eine Hundertschaft ein paar Rocker, die auch bei beinahe 40° noch Kutte trugen, dingfest machen und feierte ganz still meine Rückkehr in den Kiez.