Ein Seeadler hatte es auf Koi abgesehen, Dembowski leitete sofort Schutzmaßnahmen ein
Es ging dann doch alles sehr schnell. Was sollte ich in dem Berliner Großstadtschmutz? Draußen im Oderbruch hatte sich der Sommer längst angekündigt, doch in den Berliner Bahnen hörte ich nur das Gejammer über die ausbleibende Hitze, den verregnete Sommer, der – so hörte ich es oft – doch eigentlich ein Jahrhundertsommer hätte sein sollen. Mich nervten die Menschen und ich fragte mich, was ich in dieser Stadt im Sommer, in der Sommerpause überhaupt suchte.
Da draußen im Oderbruch wartete ein ganzes Leben auf mich. Ein Leben abseits der Hektik, ein Leben abseits der täglichen Wasserstandsmeldungen zu irgendwelchen Transfergerüchten. Ich musste mich einfach mit meinem Stuhl an den Gartenteich setzen, Koi beobachten, Dörtes aufgeregten Bewegungen folgen und über mir schwebten die Greifvögel des Oderbruchs. In den letzten Tagen, hatte Dörte mir berichtet, war immer wieder ein Seeadler aufgetaucht, der in den ausgemergelten Bäumen des Oderbruchs auf seine Beute lauerte.
Bereits aus Berlin hatte ich Maßnahmen zum Schutze Kois eingeleitet. So war ein Teil des Gartenteichs nun mit einem feinmaschigen Netz überzogen. Dort war Koi sicher, zumindest solange er auf Dörtes Anweisungen hörte. „Aber wir müssen es ihm irgendwann sagen!“, ermahnte mich Dörte bei einem die Schutzmaßnahmen einleitenden Telefonat. „Niemals. Wenn es passiert, passiert es. Du musst ihn vor dem Seeadler warnen. Mehr nicht.“
Dass Dörte es sich nehmen ließ, immer wieder auf das höchst sensible Thema zurückzukommen, konnte ich ihr vielleicht noch verzeihen. Dass sie Koi aber immer wieder mit hineinzog, ging mir gewaltig gegen den Strich. Letztendlich war dieses Telefonat, und also nicht der Schmutz der Großstadt, der Grund für meine überstürzte Abreise aus dem Soldiner Kiez, gestand ich mir auf dem Weg zurück in den Oderbruch.
Natürlich würde Koi irgendwann den Weg gehen, den alle Karpfen gehen, doch dieser letzte Weg stand noch lange nicht an. Ein Karpfen hatte eine Lebenserwartung von bis zu 50 Jahren und ich würde alles daran setzen, dass Koi dieses Alter auch erreicht. So wie ich mir ein Leben ohne Dörte nicht mehr vorstellen konnte, so konnte ich mir auch ein Leben ohne Koi nicht mehr vorstellen. „Ein Leben ohne Koi ist möglich, aber sinnlos“, dachte ich. Das sah Dörte, auch wenn sie es mir so direkt nie sagen würde, naturgemäß anders. Für Dörte waren es die Lamas, für mich war es Koi. Sie wollte es nicht verstehen.
„Das Nautykwariat wartet!“, schrie sie mir dann auch – und nur halb im Scherz – entgegen, als ich das Tor zur Farm öffnete. „Das kann warten!“, schrie ich zurück, ließ meine Taschen fallen und rannte auf sie zu. Dörte erwartete mich mit offenen Armen, doch als ich wenige Meter von ihr entfernt war, legte sie ihre Arme an den Körper, machte einen Sprung zur Seite und ich rannte mit offenen Armen gegen die Stützbalken der Veranda. Umarmte dann diese. Es war ein sehr holziges Gefühl, wieder zurück auf der Farm zu sein.
Dörte krümmte sich, wie es ihre Art war, vor Lachen und sagte zu mir gewandt: „Gute Idee, Dembo“, doch im Wegdrehen hörte ich sie „so ein Scheiß“ flüstern. Es schien ihr ausnehmend gut zu gehen und wie sich herausstellte, war in den letzten Tagen wirklich allerhand auf der Farm passiert. Etliche DerSamstag!-Fans hatten sich angemeldet, wollten die legendäre Lama-Farm im Oderbruch sehen. Dörte hatte ein paar neue Werbematerialien erstellt.
„Besuchen Sie die beschauliche Lamafarm im Oderbruch – die Heimat des legendären Ermittlers Dembowskis“, war ihr Ansatz auf Flyern und der überarbeiteten Homepage. Am Abend, als Dörte nicht mehr lachte, jedoch immer noch glücklich war, erzählte sie mir von den Anrufen aus der Türkei, von den unzähligen Anfragen und der absoluten Unwissenheit der zukünftigen Besucher. „Die denken echt man kann auf Lamas reiten. Wir sollten noch ein Lama-Seminar anbieten. Eine Woche auf der Lama-Farm, mit Trekking-Touren, Instandhaltungsarbeiten und allerhand Informationen über unsere Lamas und Lamas überhaupt.“
Das war keine schlechte Idee. „Du musst hin und wieder vorbeischauen, den Trunkenbold spielen. Das ist ein echter Unique Selling Point. Die sind doch alle ganz verrückt nach DerSamstag! und dem irrwitzigen Typen, für den die Dich halten. Ich aber weiß, dass Du ein ganz anderer Mensch bist“, sagte sie. „Komm mal her.“ Sie küsste mich. Ich küsste sie. Wir waren unserem Ziel ein Stück näher.
„Aber die Nautykwariat-Geschichte ist noch nicht ausgestanden. Da kannste Gift drauf nehmen.“ „Es ist nur ein Karpfen, Dembo. Dem fällt das nicht einmal groß auf.“ „Du unterschätzt Koi da massiv. Aber egal. Ich muss mich um meine Geschäfte kümmern. Training geht wieder los. In den nächsten Tagen stellen die sicher ein paar neue Spieler vor. Mal sehen, wie DerSamstag! da noch den Dreh bekommen kann. Wir stehen nach den ganzen Ankündigungen unter Druck und müssen liefern. Aber, Dörte, das kann ich Dir sagen, wir können uns nichts vorwerfen. Alle meine Erkenntnisse beruhen auf eigenen Ermittlungen“, lachte ich und wischte ein Bild Reisers vom Tisch.