Ziellos irrte der Ermittler durch die Stadt. Am Hermannplatz stieg er aus. Er hatte ein schlimmes Wochenende

Bewegte man sich auf der Soldiner Straße einmal in Richtung Osten und ignorierte somit die Verlockungen des Oldie-Ecks, bewegte man sich an Spielcasinos und alten Kneipen vorbei auf das Ende der westlichen Welt zu. Linker Hand befand sich der Friedhof, dessen Eingangstore ich aus dem Fenster meiner Wohnung in der Wollankstraße sehen konnte, und den ich von dort aus überblickte. Am Ende der Straße angekommen, bog ich noch hinter dem Kinderspielplatz nach links und somit zum endgültigen Ende der Welt ab. Nicht weit vor mir lag die Unterführung der S-Bahn, die seit langer Zeit bereits in Richtung Pankow geöffnet war. Hier am Rande des Weddings, auf dem Kopfsteinpflaster der Grüntaler Straße, welches ich bereits so oft beschritten hatte, lag die Kugelbahn. Eine alte Berliner Kneipe, die sich der Moderne gebeugt hatte.

Anders als aber in den bereits eroberten Bezirken, saßen die Leute hier an alten schweren Tischen, spielten Poker und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Ich ließ mich in ein altes Sofa fallen, blickte auf das Schneetreiben vor der Glasfront und auf die sich auf der anderen Straßenseite erhebenden Hochhäuser. Dieses Berlin hatte ich Ende der 90er kennengelernt und es hatte fast zwei Jahrzehnte gedauert, bis es im Wedding angekommen war. Ich gab dem Soldiner Kiez noch ein paar Jahre, dann würden auch hier die letzten Trinker verdrängt sein und spätestens dann waren alle Bezirke durchgestylt.

Bis dahin aber, dachte ich auf dem Sofa sitzend, werde ich die Rauheit des Kiezes weiter ausbeuten, die Schwäche der vom Leben Verlassenen nutzen, um mich an ihrem Scheitern aufzurichten. An der Bar bestellte ich mir ein Bier, fachsimpelte kurz über die letzte Dinosaur JR-Platte und wie es J Mascis gelungen war, komplett aus der Zeit zu fallen und fiel dann wieder in das schwere Sofa zurück. Aus den Lautsprechern dröhnten alte Girlgroup-Klassiker.

Ich ging noch einmal die Kopien meiner Unterlagen durch. Hier war ich sicher. Irgendwas musste ich übersehen haben, irgendeinen Dreh, irgendeinen Namen, irgendetwas muss bislang untergegangen sein. Der heißeste Klub Europas hatte das älteste Problem der deutschen Demokratie und das Schweigen der Mehrheit machte mir immer noch zu schaffen. Ich hatte mich tagsüber durch die verschiedenen Foren gelesen und war immer wieder auf den immens Druck, auf die Angst der Verantwortlichen gestoßen.

Wie ist man in der Lage, dem Drohpotential durch körperliche Gewalt entgegenzutreten?“, hatte ein Redaktionsmitglied von schwatzgelb.de gefragt. Erst dann, hatte er erklärt, könne man über eine eindeutige Positionierung der Ultras gegen rechts sprechen. Wieder einmal wurde der anonyme Fan im Internet bemüht, der es da leichter habe. Und im Laufe dieser Diskussion wurde auch noch einmal bestätigt, dass es wohl zu Drohungen gegen den Dortmunder Vorsänger gekommen war, der sich hatte gegen rechts positionieren wollen.

Mich machte die ganze Geschichte unfassbar wütend. Offensichtlich hatten die Rechten in Dortmund längst einen großen Erfolg errungen, offensichtlich hatten sie durch ihre Einschüchterungen konkrete Meinungsäußerungen, konkrete Positionierungen längst unmöglich gemacht. Jetzt also, so wollte das Fanorgan, sollte man einfach mal „Nazis raus!“ brüllen. Und wenn es zwar auch ein Anfang ist, dachte ich auf dem Sofa in der Kugelbahn im Soldiner Kiez sitzend, war es nicht mehr als ein Anfang und sogar daran zweifelte ich noch.

Doch bis auf ein paar interessante Namen fand sich in meinen Unterlagen wieder kein Anhaltspunkt. Barbara Jackson sang, der Schnee fiel, die Augen wurden schwerer, die Gedanken trister. Ich war erschüttert, dass Angst Courage auffraß. Ich war verbittert, und mit der Zeit, mit jedem Zentimeter Neuschnee wurde ich betrunkener, sentimentaler und dachte an die Euphorie des ersten Meisterjahres zurück, die alle weltlichen Probleme nach hinten gewischt hatte.

Doch mit dem sportlichen Angriff der Bayern im Jahre 2012, spätestens mit dem Angriff der Bayern, begann Dortmund zu bröckeln. Dass nach Jahren der großen Liga-Erfolge mal nicht die Meisterschaft raussprang war dabei jedoch leider zweitrangig. Hier ging es um mehr.

Aber am Sonntag ging es dann wieder einmal ums Sportliche. Vor dem, für den weiteren Saisonverlauf nahezu bedeutungslosen, Kick am Niederrhein fuhr ich ziellos durch das BVG-Netz, hörte den Buskern in den Bahnen zu, zählte die Straßenzeitungsverkäufer, nahm hier ein paar türkische Wortfetzen auf und, so näher ich an Kreuzberg kam, hörte da die internationale Sprache der Zugezogenen, die sich mit einem letzten Bier durch den Sonntagnachmittag schleppend, ihr Liebes- und Drogenleben für jeden, der des Englischen halbwegs mächtig war, offen ausbreiteten. In der U7 Richtung Hermannplatz fiel ein Paar über sich her, die Hände an eindeutigen Körperteilen, Zunge an Zunge.

Zum Glück endete die Reise nur zwei Stationen später und den Kottbusser Damm hoch ging ich in Richtung Kneipe. Das Spiel war wie erwartet: Bedeutungslos! Wieder einmal schlug ein Klopp-Experiment fehl und es wurde ersichtlich, dass der zweite Anzug der Borussia mit nur 90% zwar noch gut genug für den Rest der Liga war, aber keineswegs große Klasse besaß. Nachdem Kehl den letzten Ball des Tages in den Nachmittagshimmel gejagt hatte, wusste ich, was zu tun war. Ohne größere Unterbrechung, ohne Umweg, ging es zurück in den Kiez, zurück in die Wohnung, die den Friedhof überblickte und ich beerdigte das Projekt Klopp.

Klopp am Ende?

(berlin / 24.02.2013) Was ist mit Borussia Dortmund los? Ist das Projekt Klopp am Ende? Sie werden der heißeste Klub Europas genannt und sind doch nicht mehr als ein laues Lüftchen. Die Borussia 2013 hat ein Problem: Jürgen Klopp! Seine Umstellung greifen nicht. Dreierkette im Derby, Bender als Außenverteidiger gegen Hamburg, Leitner in der Zentrale gegen Gladbach. Braucht Klopp einen Plan B, holt er den Plan Bullshit raus! Oder schenkt Dortmund die Liga nur ab? Am Mittwoch ist Borussia klarer Außenseiter. Am Mittwoch kann Borussia die Saison auf den Kopf stellen. Passiert das nicht, muss Dortmund sich hinterfragen? Mit 90%-Fußball gewinnt man keine Spiele. „Dortmund“, sagt der umworbene Edin Dzeko „wird ins Finale der Champions League einziehen“, DerSamstag! hat daran konkrete Zweifel! Die Borussia 2013 steht an einem Wendepunkt. Wird aus einem großen Team ein sehr großes Team oder hat man sich an der Strobelallee verzockt? Innerhalb der nächsten 10 Tage wird es Antworten geben.(dembowski / DerSamstag!)