Tja, der Bomber Harris trifft nicht auf die größte Zustimmung. Piotr deutet noch ein paar Mal meine Unfähigkeit an. Ich müsse mich noch verbessern, mein Wortwitz dürfe nicht ein Holzhammer sein, er müsse immer und zu jeder Zeit subtil sein, unter der Oberfläche schwellen, mit einem Augen, mit einem Finger, der sich aus einem Sumpf befreit und sich an einem treibenden, langsam verrottenden Stamm versucht, aus der tödlichen Situation mit beschwingter Eleganz zu retten, in die Luft zeigen, die Worte sollen mein Gewehr sein, ich müsse es auf die Leser anlegen und ihnen keine Wahl außer den Glauben an meine Wahrheit lassen, erklärt er mir.
Mittlerweile habe ich mich an die wahnhaften Reden von Piotr gewöhnt, für die nächsten paar Tage werde ich hier mit ihm alleine sein. Pfingsten, Tomasz muss im Hotel für Ordnung sorgen und natürlich auch für Betrieb. Ich wittere meine Chance. Ohne Tomasz könnte Piotr sich mir ein wenig öffnen, mir ein wenig was über die Ursprünge dieser Organisation verraten. In einem schwachen Moment würde er mir sicher was darüber erzählen, denke ich und frage mich nahezu gleichzeitig, ob, einmal in Fahrt gekommen, vielleicht sogar etwas über die Ziele der Konstrukteure in Erfahrung zu bringen sei. Doch bis dahin stehe ich wieder vor dem Problem: Wie bekomme ich die Zeit bis zu meinem Wiederauftauchen rum? Ich möchte mich nicht beschweren, aber in manchen Momenten zweifle ich an der Verlagsidee. Wenn ich in den großen Boss ziehen, was ändert sich dann für mich? Meine Abhängigkeitsstrukturen verschieben sich. Waren es in den vergangenen Jahren Reiser und seine Redaktion, am Ende der Spielzeit noch Punkrockmailorder-Martin, wären es im nächsten Jahr dann eben die Konstrukteure, deren Spiel ich spielen müsste. Freiheit ist nicht immer Freiheit, denke ich mir. Trotzig verziehe ich mich in den Aufenthaltsraum.
„Denn nicht Du bist in der Krise, sondern die Form, die man Dir aufzwingt!“ Ein Falco-Verschnitt schleudert mir seine verachtenden Weisheiten um die Ohren. Mit seinem anberlinerten Wiener Schmäh hetzt er hier gegen das bestehende System. Aufwiegelnd, verschwörerisch, die Sprachen wechselnd. Immer noch nicht ist mir klar, woher die Musik überhaupt stammt, wer sie auswählt, ob sie in allen Stationen zu jeder Zeit gleich ist, und wieso die Polen immer wieder auf deutschsprachige Versatzstücke zurückgreifen und ob dahinter eine Botschaft steckt, oder doch einfach nur kluges Marketing. Wenn sich alle Bewohner der Stationen – weltweit dürften es, so meine Vermutung, – an die 26 Stationen sein – die Musik zulegten, dürfte das bereits für einen Chart-Entry reichen, rechne ich die Zahlen bereits hoch. „Bis zum Rand voll mit Strategien, rennst Du als Fremder durch die Welt“
Zurück ins Aquarium. Piotr lacht: „Die geben es Dir richtig, wenn Du in der richtigen Stimmung bist. Ja, Panik, was?“ Panik hab ich eher vor dem Moment, der mich in die Welt bringen wird. Heim an die mir mittlerweile so fremden Orten, wer war noch einmal die Wentraud? „Ich will Dir was erzählen“, sagt Piotr und legt dann wieder los „vor über hundert Jahren ist ein Schotte nach Südamerika ausgewandert. Er hatte einen großen Traum, er wollte eine Oper ins Amazonasgebiet bringen. Alle hielten ihn für einen Spinner, doch gegen die größten Widerstände setzte er sich durch. Mit einem Schiff versuchte er zu bis dahin nicht erschlossenen Kautschukplantagen durchzudringen. Es war ein beschwerlicher Weg, und mit immenser Willenskraft gelang es ihm. Es gelang ihm nur beinahe, aus dem Kautschuk, dem Geld, der Oper wurde nichts. Mit seinem angeschlagenen Amazonasdampfer schipperte er zurück in Richtung Heimathafen, mit einem alten Grammophon. Die, die ihn verlacht hatten, rieben sich voller Verwunderung die Augen. Die wenigen Menschen, die an ihn geglaubt hatten, feierten seine Ankunft. Es wurde für den einsamen Spinner ein einziger Triumphzug. Man wollte ihn in die höchste Gesellschaft, und zu diesen Zeiten, am Anfang des vergangen Jahrhunderts tummelte, sich, sie waren alle in Goldgräberstimmung, in der sogenannten höchsten Amazona-Gesellschaft mit die reichsten und abenteuerlustigsten Menschen Südamerikas, einführen, doch er blieb bescheiden und beschloss, der Welt von nun an in geheimster Mission zu dienen. In einen Berg, nahe einem Wasserfall an einem Amazonas-Seitenarm ließ er die erste Station bauen. Natürlich, das wäre damals auch gar nicht anders möglich gewesen, erfüllte diese Station nur die rudimentärsten Bedingungen. Doch von dort begann er die Geschicke der Welt zu steuern. Es waren nicht alle Geschicke, doch mit der Zeit begannen aus der Station, Iquitios hatte er sie genannt, die Leute in die Welt zu ziehen. Sie vermittelten ihr Wissen an ausgewählte Personen, langsam überzogen die Konstrukteure ein Großteil der westlichen Welt.“
Die Rede bringt mir an diesem Tag wenigstens kaum Arbeit ein. Ich solle einfach mal versuchen, ein paar Filme auf den einschlägigen Seiten zu schauen. Ich würde, so Piotr, schon sehen, dass ich irgendwann nichts mehr sehen würde. „Wieder ein verdammt solider Hintgergund-Job von Tomasz“, flüstert er mir zu, während ich mit verblüfftem Erstaunen erst ein FBI-Logo und auf einer anderen Seite ein BKA-Logo. „Das sind so Jobs, die wir auch erledigen müssen. Sie geben uns die Freiräume. Übrigens die Zeitung wird im Iquitos-Verlag erscheinen.“ Daher also der Wind. So langsam gelange ich in den inneren Zirkel. Diese Abhängigkeit, bin ich mir sicher, kann mir tatsächlich Freiräume verschaffen.