Ich fand den Ermittler in der Nacht von Freitag auf Samstag. Er lag am U-Bahnhof Kottbusser Tor. Dort musste er schon seit ein paar Stunden gelegen haben. Erst dachte ich, er wäre betrunken, schliefe seinen Rausch aus. Ich versuchte, ihn zu wecken. Doch er reagierte erst nicht. Nach ein paar Minuten kam er zu sich. Niemand hatte ihn beachtet. Er lag dort. Er wurde für ein Penner gehalten. Er tat mir leid. Ich hatte seine Taschen durchwühlt. Fand die Visitenkarte. „Dietfried Dembowski – Ermittler!“


Als er zu sich kam, fragte ich: „Geht es Ihnen gut, Herr Dembowski?“ Er schaute mich mit leeren Augen an. Und antwortete nicht. Ich machte mir Sorgen, um diesen Mann Mitte 30. Er trug ein Greenpeace-Shirt. Eine Lederjacke. Schwarze Hose. Er war unrasiert. Dieser Mann musste schreckliches durchlebt haben. Ich bot an, ihn nach Hause zu begleiten. Er nickt. Er deutete auf die U8 in Richtung Wittenau. Ich fragte mich, ob er aus Bonnies Ranch entlaufen war. Ein Ermittler, dachte ich, ist diese Gestalt nicht. Doch wie er da so hilflos lag, wollte ich ihm helfen. Die Toursiten um mich herum beobachteten mich mit ihren Hipster-Augen. Sie hatten kein Verständnis für mein Handeln. Ich hatte kein Verständnis für ihre Kleidung.


In der Bahn kam der Ermittler langsam zu sich. Er war arg mitgenommen. Er sagte: „Erst war ich nackt, dann wieder angezogen. Ich halte das nicht mehr aus!“ Seine Worte ergaben keinen Sinn für mich. Vielleicht war er nackt gewesen, vielleicht hatte er sich danach wieder angezogen. Aber Menschen duschten nackt, sie hatten nackt Sex und wenn ich mir den Ermittler in beiden Situationen nicht vorstellen wollte, so duschte er hoffentlich und wahrscheinlich hatte er auch Sex. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, wer sich dafür hergeben würde.


Ich machte mir Sorgen um ihn. Er redete jetzt wie ein Faserfall. Wenn auch im Schneckentempo. Er sagte: „Die letzte Minute. Ich halte das nicht mehr aus. Erst nackt, dann angezogen!“ Er zeigte auf sein T-Shirt. Ich sagte: „Wieso nicht: Rettet die Wale?“ Er schaute mich an, wusste nicht, wovon ich redete. An der Pankstraße zog es ihn in Richtung Tür. Er klappte zusammen. An der Osloer zerrte ich ihn aus der Bahn. Schleppte ihn die Straße entlang. In das Klinikum.


In der Notaufnahme sahen sie ihn sich an. „Nervenzusammenbruch!“, sagte der Arzt. Sie fanden heraus, dass er hier um die Ecke wohnt, doch wäre der Heimweg „zu gefährlich für den Herrn Dembowski!“. Sie wollten ihn zu Bonnies Ranch fahren. Dort, sagten sie, könne er sich erholen. Sie wüssten auch nicht genau, was den Zusammenbruch ausgelöst habe. „Seine Nacktheit?“, fragte ich, doch sie schüttelten den Kopf. Er habe sich wohl schon häufiger nackt gesehen, daran könne es nicht liegen. Auch wenn das bei dem Anblick eine durchaus berechtigte Vermutung wäre.


Im Einsatzwagen in Richtung Reinickendorf wendete der Ermittler sich zu mir. „Ich muss Redermann sprechen. Der Kommentar! DerSamstag!“ Der Samstag war mittlerweile angebrochen, hinter der S-Bahn ging die Sonne auf. Die Worte des Ermittlers ergaben kein Sinn. Er tat mir leid. Etwas musste passiert sein. Etwas musste ihn aus der Bahn geworfen haben. Etwas, das ihn letzter Minute passiert war. Etwas, was seine Nacktheit beendet hatte. „Wer ist Redermann?“, fragte ich ihn. „In die Erdgeschosswohnung. Ich muss in die Erdgeschoswohnung. Die Konstrukteure. Das Unterwasseraquarium. Discon! Discon! In letzter Minute! Ich halte das nicht mehr aus“. Er tat mir immer noch leid. Ich sah, wie sich in seinem Kopf Gedanken formten. Er aber keine Worte dafür fand. Ich zeigte auf sein Shirt. „Hat es was mit dem Shirt zu tun?“ Er starrte mich mit fragenden Augen an. „Nein!“. Seine Stimme verstummte wieder. Er fiel zurück in den Schlaf.


Durch das Tor fuhren wir auf einen von Plantanen gesäumten Hof. Sie zogen ihn aus dem Auto. Fragten mich noch einmal, was passiert sei. Ich wiederholte die Geschichte. Fing beim Kottbusser Tor an. War erzürnt über die Passivität der Hipster-Touristen. Sie hätten ihn fleddern können, dachte ich mit Graus. Sie hatten es nicht getan, Dembowski aber nicht beachtet. Ich setzte mich an das Bett. Irgendwas hielt mich hier. Der Ermittler trug ein Geheimnis in sich. Es verbarg sich unter dem Zusammenbruch. Ich wollte dem Geheimnis auf die Schliche kommen. Die Schwestern waren freundlich, gegen Mittag sollte ich das Zimmer aber verlassen. Der Herr Dembowski benötige jetzt vor allen Dingen Ruhe. Etwas habe ihn aus der Bahn geworfen. Diese Erkenntnisse waren mir nicht neu. Bereits an der Osloer hatten sie mir davon erzählt. Ich hatte es auch vermutet.


Redermann, Konstrukteure, Unterwasseraquarium. Entweder der Ermittler hatte sie nicht mehr alle, oder aber ich musste Redermann finden. Von etwaigen Konstrukteuren hatte ich noch nicht gehört. Ein Unterwasseraquarium ergab keinen Sinn. Ich ging das Berliner Telefonbuch durch, fand jedoch keinen Redermann. Da kam mir die Idee. Ich schlich mich noch einmal in das Zimmer. Durchwühlte seine Taschen. Fand jetzt auch sein Handy und die Nummer von Redermann.


„Dembo, was ein Spiel!“, begrüßte mich die Stimme. „Hier ist nicht der Herr Dembowski. Ich habe ihn gerade eingeliefert. Welches Spiel!“ „Wohin eingeliefert?“ „Bonnies Ranch!“ „Was ist das?“ „Eine Nervenklinik!“ „Haha. Sagt nicht nur der Clown, sagt auch Redermann, richte Dembo schöne Grüße aus. Er soll sich das 4-4 bloß nicht so zur Herzen nehmen!“ „4-4?“, fragte ich und Redermann erzählte mir vom Ballspielverein.



Und so mehr ich nachfragte, so mehr erschlossen sich mir die Zusammenhänge. Ich bewunderte die Leidenschaft des Ermittlers. Mir war klar, dass es jemanden wie Dembowski, der mir schon nach ein paar Stunden nicht mehr fremd war, erwischen konnte. Und auch wenn ich nichts mit Fußball zu tun hatte, ich nahm mir vor, die Worte des Ermittlers zu verkünden. Doch jetzt brauchte er erst einmal Ruhe. „Der Kommentar muss warten“, erklärte ich Redermann, der freundlich grüßend auflegte. Dem Ermittler erklärte ich, dass ich mich um ihn kümmern werde. „Alles wird gut, Dembowski. Doch jetzt erhol Dich.“