Es fing doch alles gut an. Die Silver Jews hatten mich mal wieder gefangen genommen. Mit aufgerissenen Fenstern hörte ich mich durch ihr Werk, blieb dann schnell bei den Punks im Bierlicht hängen. Wo ist die Tüte, die denn Schnaps versteckt? Nur falls ich mich übergeben muss.Wir dürfen uns nichts vormachen, es wird wirklich alles richtig schlecht. Punks im Bierlicht. Das hätte ich gerne geschrieben, hatte ich jedoch nicht. So musste ich es auf die Wollank schreien und von unten hörte ich nur: “Halt die Schnauze!” “Hör endlich mal vernünftige Musik!” Auch an der Tür reichten sie ein paar Beschwerdeformulare ein. Aber es konnte nicht besser werden. Und es wurde nicht besser.

Erst machte Schmelzer das Ding und wenn ich es nicht so genau nahm, war Hummels im entscheidenden Augenblick maximal auf gleicher Höhe mit den Stuttgartern. Ich holte mir noch ein Bier und sah Holzhausers ausgestreckten Arm in Kehls Gesicht und alle unsere Chancen mit der Kapitännase zerbrechen. Der Rest des Spiels war dann eben wie so ein Spiel läuft, wenn dir in der Saison die entscheidenden Zentimeter Glück fehlen, du einen okayen Gegner hast und letztendlich war Ibisevic ebenfalls gnädig. Das passiert. Und nach zwei Jahren geht das auch vollkommen okay mit mir. Solange ich Kronen und Borussia habe, ist es egal. Natürlich sind die Momente des Erfolgs besonders, aber das war nie mein Antrieb gewesen. Im Pathos des Ballspielorchesters 09 lag ja auch Wahrheit. Sie sangen “ich war bei Dir in Bielefeld”. Da war ich nie. Aber ich hatte viele andere dunkle Stunden, die natürlich nie eine Bochum-Qualität von düster erreichten, erlebt und ich war immer noch Fan.

Was mich aber aufregte, war der Bruch an Kehls Nase. Immer wieder. Immer wieder auf die Fresse und später stellt sich Bobic hin und faselte etwas von: “Da muss man sich dann aber auch mal im Griff haben.” Muss man eben nicht, wenn man ständig auf die Fresse bekommt. Im nicht einmal sprichwörtlichen Sinne. Mit Kehl verloren wir den Überblick, mit Leitner kam der fahrige Offensivgeist zurück. Und Gündogan durfte nicht mehr ordnen, nur noch sichern. Das klappt alles nicht.

Ich verließ die Kneipe mit 100% Hass in mir und mir gingen diese ganzen Relativierer auf den Sack. Wir konnten uns in dieser Saison keine Relativierer leisten. Wir mussten auch mal ohne Anstand gewinnen, aber es funktionierte nicht. Niemals. Nicht, wenn wir unsere Nase hinhielten. Wir durften uns nach dem Spiel nicht hinstellen und sagen. Hey, das war doch keine Absicht. Was ungefähr so bescheuert war wie: “Hey, bist du auch aus Kürbis?” Was sich aber im Gegensatz zu keiner Absicht immerhin zu einem veritablem Hit gemausert hatte.

Zurück in der Wollank versank ich in Selbstmitleid. Es war klar, dass die Menschen zu lieb waren und ich zu sehr durchblickte. Im faden Novemberregen ging ich in Richtung Pankstraße. Trat gegen ein paar Mülleimer, nahm es mit ein paar Jugendlichen auf, deren Sprache ich nicht mehr sprach, handelte mir eine Abreibung ein, nur um den Schmerz zu spüren, setzte mich in eine Bierkaschemme, trank einen über den Durst, wischte mir das Blut aus dem Gesicht, trank noch mehr und klaute mir auf dem Rückweg eine Welt Am Sonntag. Das große Lewis Holtby-Interview brach nach wenigen Sätzen ab. Wie er sich denn so fühle, wenn er jetzt durch Gelsenkirchen laufe, fragten sie ihn und Holtby antwortete: “Ich wohne in Düsseldorf.”

Auf dem Plattenspieler lagen immer noch die Silver Jews, neben mir lag die Tüte. Sie war voll.