Gerade erst hatte ich über die Entfremdung sinniert, gerade erst hatte ich mich dabei verdammt wohl gefühlt. Jetzt stand ich vor einer Grundsatzentscheidung. Und das kam so:

Seit DerSamstag! noch im alten Jahr den Reus-Transfer quasi exklusiv vermelden konnte, und trotz des Barrios-Manövers, meldeten sich immer mehr Quellen, die dem Ballspielverein immer näher standen, in der Redaktion und wollten ihre Insiderinformationen loswerden. Mal ging es um neue Spieler, mal ging es um Kabinengesprächen, mal ging es um neue Sponsoren und neue Trikots. Manchmal, so stellte sich später raus, waren diese Quellen Aufschneider und manchmal waren diese Quellen näher am Verein, die Informationen bewahrheiteten sich. Redermann und ich aber hatten uns geschworen: Wir kommentieren weiterhin, werden aber nur in Einzelfällen Gerüchte aufgreifen und in die Welt setzen. Die Absatzzahlen waren wichtig, aber sie standen immer hinter seriöser Berichterstattung.

DerSamstag!, da waren wir uns sicher, war das seriöseste Blatt überhaupt. Und während ich also über die Entfremdung nachdachte, die mit Sicherheit auch mit den neuen Gegebenheiten zusammenhing, klingelt mal wieder das Telefon. „Dembowski, ich hab da was für Euch. Ne schöne Nummer“ „Wer da?“ „Ach, komm. Jemand aus der Internetabteilung, der Dir noch einen Gefallen schuldet“ Über die Monate hatte ich den Überblick,wer wem einen Gefallen schuldet. Nur dass ich Reiser keinen Gefallen mehr schuldet, das wußte ich noch. „Worum geht es? Ist Reiser informiert?“ „Der Vogel? Niemals“

So ging es hin und her. Ich fragte, ob der bereits informiert sei und der Anrufer antwortet mit Tierbezeichnungen. Die Information, sagte er mir, sei eine Sensation. Sie würde international für Aufsehen sorgen und sie würde den Verein, so seine bescheidene Meinung als Geschäftsstellenmitarbeiter, Abteilung Internet & Social Media, auf ein neues Level hieven. Jetzt aber müsse er auch an sich denken. Der Klub sei da was am Planen dran und er wolle aber die nächste Stufe der Karriereleiter erklimmen, daher eben auch gegen seine Vorgesetzten kämpfen. Natürlich, sagte er, das seien schon alles richtige Kollegen, im ruhrpottschen Sinne, aber man könne nicht immer nur auf Freundschaften Rücksicht nehmen.

Der Typ war mir bislang noch nicht weiter aufgefallen, auch nachdem er mir seinen Namen mehrfach buchstabiert hatte, konnte ich damit nichts anfangen. Nebenbei klickte ich mich durchs Netz und fand seine digitalen Spuren, es gab ihn, er arbeitete in der Tat beim Verein. Ich hatte mir angewöhnt, meine Quellen immer abzuchecken und dabei eine ganz gute Trefferquote erzielt. Der Typ hier war beileibe kein Aufschneider, und als er mir von der anstehenden Vertragsverlängerung von Götze erzählte, stockte mir für einen kurzen Moment der Atem.

„Wollen wir via Facebook ankündigen, dann aber auf der Homepage bringen. Gegen 16 Uhr, das aber wird sich verzögern. Ihr könntet einfach bereits um 15.30 Uhr berichten.“ „Wieso eigentlich wir?“ ,ich war natürlich interessiert. „Ihr habt die Wachablösung verkündet, daran arbeiten wir jetzt kräftig. Wir sind besser als die Bayern, wir sind die neue Großmacht!“ „Hör mir auf mit den Bayern. Kann es nicht einmal eine Handlung geben, die nicht wegen der Bayern gemacht wird? Geht das nicht in die Köpfe rein?“ „Wieso, wir sind besser als die Bayern! Borussia Dortmund, Forever Number One!“

Wütend schmiss ich das Telefon gegen die Wand. Meinte der Typ das wirklich ernst. Ging es bei einer Vertragsverlängerung wirklich um die Wachablösung? Die Sache war ordentlich aus dem Ruder gelaufen. Waren es am Anfang nur Sticheleien, so war mir die Geschichte längst entglitten. Die Eigendynamik hatte ich unterschätzt. Schon einmal hatte sich Borussia an dieser Thematik abgearbeitet, und war grandios gescheitert. Jetzt saßen zwar neue Köpfe an den Schalthebeln, aber ganz langsam steuerte das Boot auf die altbekannten Klippen Großmannssucht und Größenwahn zu. Mir kamen große Zweifel, ob wir diesen Klippen diesmal ausweichen konnten.

Reus, Götze, bald Kagawa, das hatte der Anrufer angedeutet, Bittencourt, Amini, Gündogan, Leitner, Kehl, Bender, Perisic, Großkreutz, leider kein Kuba, der wechseln würde, da war ich mir immer sicherer. Das waren nur ein paar der Namen, die im nächsten im Dortmunder Mittelfeld spielen würden. Julian Koch hatte ich bei dieser Aufzählung fast vergessen. Es las sich gut, es las sich aber auch so, dass wir in den nächsten Jahren auf die Champions League schwerlich würden verzichten können. So ich mich auch über die Götze-Verlängerung freute, sie bedeutete das Ende der Unschuld.

Nach kurzer Rücksprache mit Redermann entschloss ich mich, die Information zu ignorieren, dem Verein seinen großartigen Social Media-Sieg über die Bayern zu schenken und am nächsten Tag als Mahner aufzutreten. Es war keine populäre Entscheidung, aber ich war mir sicher, den richtigen Weg gewählt zu haben. So verfasste ich im Laufe des Tages diesen Kommentar:

Das Ende der Unschuld!
(berlin / 28.03.2012)Vom Vorzimmer der Pathologie zum Olymp waren es nur sieben Jahre. Im März 2005 stand der Ballspielverein vor dem Aus, im März 2012 steht der Ballspielverein vor der Wachablösung. Erstmals ausgerufen von DerSamstag! im November 2011, nimmt sie nun immer konkretere Formen an. Erst Reus, dann Klopp und jetzt Götze. Dem Traumduo Götzeus steht somit nichts mehr im Wege. Beide werden ab der Spielzeit das schwatzgelbe Trikot überstreifen und an weiteren Meilensteinen der Vereinsgeschichte arbeiten. Götze bis 2016, schallte es durch die Nation. Von einer weiteren Großmacht ist da die Rede. Doch haben wir uns das so vorgestellt? Nein!
Es ist das Ende der Unschuld! Es ist das Ende der immerhin fast zwei Spielzeiten dauernden Vorstellung von der Aushebelung der Naturgesetze! Erst war die Spielfreude, dann waren die Vollgasveranstaltungen und dann kam das Geld! Es verändert den Blickwinkel. Das Ende der Unschuld! Der Zwang, um Titel mitzuspielen. Es sind gute Nachrichten, die der Verein da verkündet. Es sind aber vor allen Dingen Nachrichten, die nachdenklich stimmen. Der Verein geht den Weg konsequent weiter. Er darf jedoch niemals den März 2005 vergessen! (dembowski / DerSamstag!)