Dembowski hing wieder an der Flasche, seit einiger Zeit plagten ihn Albträume. 

„Jetzt hast Du schon wieder einen Deal verpasst! Wie soll das Blatt nur überleben?“ „Lass das mal meine Sorge sein!“

Seit Stunden schon kämpfte ich mit windigen Agenten, Beratern, Informanten und Social-Media-Strategen. Ich war auf der Lama-Farm und wollte eigentlich ein wenig ausspannen. Aber so richtig ließ mich das Geschäft nicht los. „Im Sommer“ hatte mir einer der Typen am Telefon erklärt „legen Sie den Grundstein für eine weitere Saison. Was für die Vereine gilt, lieber Herr Herausgeber, das gilt natürlich auch für DerSamstag!“

Der Typ, der mir das erzählte, war eine der windigsten, schleimigsten und nervigsten Gestalten, mit denen ich je am Telefon zu tun hatte. Er ließ sich nicht abwimmeln. Gerade nicht von mir. Ganz andere Dinge gingen durch meinen Kopf, der unentwegt die verschiedenen Routen für die Lama-Touren (Novize! Entdecken Sie den Oderbruch! Die große Flut-Tour von 1997 und 2002 – Auf den Spuren der Helfer (mit anschließender Zeitzeugenbefragung und geselligem Umtrunk im Dorfkrug)! Das Schiffshebewerk, ein doppeltes Vergnügen (mit anschließender Senfverköstigung)!) durchspielte.

Die Gedanken kamen mir gerade recht, plagte ich mich doch seit London mit diesem verdammten Traum. Das Spiel ging in die Verlängerung, ging in das Elfmeterschießen. Robben hatte also nicht getroffen. Das war die gute Nachricht. Im Elfmeterschießen, natürlich auf die Dortmunder Kurve und also direkt unter mir, trafen die ersten beiden Schützen, bis es an Großkreutz war den Ball in die Londoner Nacht zu schießen. Immerhin drüber. Mit dem kaputten Fuß. Hätte auch schlimmer kommen können, denke ich immer und versinke unter dem Sitz im Wembley Stadion.

Irgendein Bayer trifft, das höre ich nur noch, da ich ja zusammengekauert unter meinem Sitz liege und wir ziehen zum 3:3 nach. Jetzt läuft Martinez an, was ich ziemlich genau mitbekomme, weil irgendein Typ über mir gegen den „verdammtem Spanier“ schreit. Der nimmt sich das aber nicht zu Herzen, hämmert den Ball in Richtung Winkel, wie ich auf einmal wieder stehend ganz genau sehe. Weidenfeller aber ist schon in der Ecke und fischt den Ball irgendwie raus. 3:3! Wir sind wieder da. Jetzt läuft Lewandowski an und ich wache auf. Immer wache ich auf. Und niemals erfahre ich das Ergebnis. Wird Lewandowski zum Helden, wird er zum Verräter! Wer gewinnt, wer verliert und was mache ich danach? Manchmal wache ich Tage später in meiner Wohnung in der Wollankstraße auf und schreie „Bis sie Dich rufen!“ und wache noch einmal auf, und bin da, wo ich gerade und vermutlich seit einiger Zeit schon bin: Im Oderbruch. Bei Dörte und den Lamas und in Sicherheit.

Eigentlich in Sicherheit, mit dem Typen an der Strippe war ich mir da überhaupt nicht mehr sicher. Er war nicht der erste seiner Art, aber immerhin einer der das Hauptaugenmerk auf Social Media richtete. Der Rest beschwerte sich entweder oder er biederte sich an oder lag mir wegen der verfehlten Transferpolitik der Borussia in den Ohren. Ich hätten niemals, dachte ich, nun mehr das Gespräch mit dem Social Media-Experten mit den Worten „Danke! Grundsteinlegung war bereits im Winter“ abbrechend, meine Privatnummer, meine Handynummer im Impressum abdrucken dürfen.

Hatte ich aber getan und jetzt war es an mir die Sache zu beenden? Aber wie. Mir fiel keine Lösung ein. Die Handynummer war da draußen und natürlich, ich hätte mir jetzt sofort einfach eine neue Nummer besorgen können, aber das war mir erstens zu kompliziert, und es würde an der Situation auch nichts ändern. Kurzum: Ich hing wieder an der Flasche. In manchen Momenten konnte mich die reine Anwesenheit von Koi, seine schuppige Haut, seine vor Liebe und Einsamkeit (ich nannte es das Koi-Syndrom) trüben Augen beruhigen. Und manchmal sprühte ich vor Energie, ging mit Dörte die Pläne für den Sommer durch, plante die Touren, baute mal hier und mal da an den Stallungen, doch immer wenn die Dunkelheit über den Oderbruch kam, kehrten meine Ängste zurück. Ich betäubte mich mit Whiskey, ich trank resigniert, hatte keine Kraft mehr mich mit meinem Schicksal auseinanderzusetzen.

Ich wurde alt, war müde von den vielen Kämpfen, die meisten Abende endeten bereits gegen 19.32 Uhr. Dann war ich zu blau, setzte mich auf die Veranda und wartete auf die Dunkelheit, die erst die Lama-Farm und bald meine Seele überzog. Wenn Dörte sich besorgt nach meinem Wohlbefinden erkundigte, antworte ich bloß: „Gettin old, great evening. Tired of all this hatin‘“, dann zog ich mir meine Truckermütze noch tiefer ins Gesicht und wartete auf Dörtes Antwort, die stets ausblieb. „But it’s important to fight your way through things and to get up again after you‘ve been knocked down”, sagte ich dann und das wiederholte sich Tag ein und Tag aus.

Mir hatte man einmal zu oft auf die Fresse gehauen und ohne die Hilfe der Flasche würde ich aus der Nummer nicht rauskommen. Ich würde aus der Nummer nicht rauskommen. Aber die Flasche vermittelte wenigstens die Aussicht auf Linderung. Dann kam die Nacht, und dann kamen die Träume und während Lewandowski anläuft wachte ich auf und es ging wieder von vorne los.

„Dembowski! Ich habe heute wieder richtig frische Informationen für Dich!“ brüllte mir ein Informant auf Speed entgegen. Es ging um Eriksen, de Bruyne, Boateng, Bernard, Benteke, Son, Prib und den richtig dicken Fisch Mesut Özil, der vom neuen Real Madrid-Trainer – „brandheiße Info, nur für DerSamstag! kostet Dich ein wenig“ – vom königlichen Hof gejagt werden sollte. Ich legte auf, doch der nächste Berater war bereits am Telefon: „Dietfried, lang keinen mehr getrunken. Lass uns mal treffen, ich muss Dir was über meinen Jungen erzählen. Der will ja unbedingt nach Leverkusen, aber ich brauch nen zweiten Interessenten. Kannste da nicht mal was lancieren?“ „Damit Holzhäuser endgültig durchdreht! Die sind doch schon im Krieg!“ „Ach komm, ich lass was springen und diesmal nicht nur den Dimples, ich schick Dir ne Kiste vom Allerbesten und leg noch ein paar Scheinchen rein.“ „Hör mal, ich habe hier eine Lama-Farm zu managen!“

Und so ging es den ganzen Tag über, und manchmal erkundigte sich der Social-Media-Stratege nach meinen genauen Plänen für den Relaunch und fragte nach, ob ich den jemals an eine Paywall gedacht hätte, er … Ich legte auf, hockte mich an den Teich und schaute auf Koi, der langsam an die Wasseroberfläche kam. Aus dem Haus vernahm ich das neue Small Sur-Album.

 „took a walk on a sunday…“