Mittlerweile hatte ich mich bei Teenage Kicks PR ganz gut eingelebt. Ich war halt da, schrieb Mails und hin und wieder ging ich ans Telefon. Bei dem Programm der Agentur aber hielten sich die Telefonate in Grenzen. So saß ich dort, blickte über die Gleise, sah die Züge vom Gesundbrunnen aus in die Uckermark aufbrechen. Manchmal malte ich mir aus, wie es Dörte gerade ging. Sie hatte sich noch ein Lama angeschafft. Sie wollte, wie sie mir am Telefon versicherte, noch ein paar Lamas hinzukaufen. Fürs nächste Jahr wollte sie noch ein wenig Land hinzukaufen, ein wenig größer werden. Sobald die Winterpause begann, würde ich wieder in den Oderbruch gehen. Die Zeit zwischen den Spielen in der Natur verbringen.
Draußen fiel der erste Schnee des Jahres, die wenigen Flocken zerbrachen auf dem Asphalt, vermischten sich zu kleineren Pfützen, die im Licht der Laternen der Kirschbaumallee flackerten. Fuhr ein Radfahrer hindurch, spritzte das Wasser auf. In der Ferne thronte der Humboldthain, dessen Umrisse von der untergehenden Sonne erleuchtet wurden. Vor über einem Jahr hatte ich dort einmal gestanden, die Flugzeuge von Osten in Richtung Tegel fliegend beobachtet. Erst kurz vor dem Kurt-Schumacher-Platz entschwanden sie auf dem Humboldthain stehen aus den Augen. Jetzt sah ich aus dem Fenster des Teenage Kicks PR-Büro blickend, auf den Humboldthain und wenn ich meine Kopf in Richtung Norden drehte, waren dort die Scheinwerfer der Flugzeuge, die immer noch in Richtung Tegel flogen und in etwa auf Höhe des Pankower Bürgerparks ihre letzten Meter in der Berliner Winterluft zurücklegten.
Die Arbeit im Büro beruhigte mich, die Zeiten der Konstrukteure schienen weit entfernt zu sein. Manchmal schrieb ich einen Promotext für eine der Platten, die sich im Regal befanden. Dann war oft von Tumbleweed, von der Weite der Musik, von Lifetime Achievment Awards der American Music Association und von Kritikerlieblingen die Rede. Waren die Texte fertig, schickte ich sie raus in die Welt der Musikjournalisten, die mir „klingt interessant. Nehm ich auf Vinyl“ antworteten. Fragte ich nach, ob sie denn auch drüber berichten wollen, kam zurück, dass sie „das jetzt nicht sagen“ könnten und sich das „Album erst einmal anhören müssten“, es aber aufgrund der „Vielzahl von Veröffentlichungen“ eher unwahrscheinlich sei. Das war alles wahrlich nicht glamourös, aber schon okay, in die Abgründe der menschlichen Gier zu schauen. Sölden war immer noch nicht aufgetaucht, rief hin und wieder an und fragte nach irgendwelchen Ergebnislisten und ob den Act jetzt schon gebreakt hätte, der Vertrieb würde da mächtig Druck drauf legen und die Platte mit in den Indiepool nehmen, dafür müsste ich jetzt aber mal delievern und ein paar Feature confirmen. Das Album sei stark, die Production derart fresh und die Story des Künstlers natürlich ein Killerargument. Ich konnte dazu nichts sagen. Auch nicht, als er mich fragte, ob die Band jetzt bei Fritz in der A-Rotation laufe, das Label….
Ich hörte mir das an, schrieb meine Texte und blickte aus dem Fenster. Es war Freitag und in 24 Stunden würden sich Bayern und Dortmund gegenüberstehen. Ich erinnerte mich an ein paar Freunde in England und steckte ihnen, dass Lewandowski so gut wie sicher bei United anheuern würde. Maximal 10 Millionen würde er kosten. Ein wenig Aufregung konnte nie schaden.
So ein Lama soll übrigens sehr beruhigend wirken.