Langsam wurde mir schwindelig. Zum wiederholten Male blickte ich auf meine Notizen. Im Laufe der Saison hatte ich die zu knackenden Rekorde notierte und mit jedem Spiel hatte der Ballspielverein den nächsten Rekord pulverisiert. Die beste Rückrunde aller Zeiten, die meisten Auswärtspunkte aller Zeiten, den höchsten Zuschauerschnitt aller Zeiten, die besten Fans aller Zeiten (gewählt von den DerSamstag!-Lesern), die längste Serie ohne Niederlage aller Zeiten, die sympathischste Mannschaft aller Zeiten und so weiter und so fort. Jetzt fehlte eigentlich nur noch die beste Bundesliga-Mannschaft aller Zeiten. Ein Spiel, 3 Punkte, 5 Tore, 90 Minuten standen nun zwischen der Borussia und dem Projekt 81², welches in dieser Form nie mehr wiederholt werden könnte.
Erst gestern war dem Absteiger aus Lautern die Sache über den Kopf gewachsen. Zwar gingen sie durch Santana in Führung, doch die mit Spielern aus der zweiten Reihe gespickte Borussia-Elf interessierte sich, wie im gesamten Verlauf der Saison, nicht für Rückschläge. Sie spielte weiter und dann flankte eben Owomoyela, der es später sogar zu Kapitänsehren bringen sollte, auf Barrios und der nickte dann die Sorgen um die Rekorde weg. Danach war es nur der Pfosten, der eine zweistellige Packung für Lautern verhinderte. Immer war es in diesem Jahr der Pfosten gewesen, der irgendwas verhindert hatte. Aber auch der Pfosten, die Latte und die nicht gegebenen Elfer hatten uns nichts anhaben können. Einfach immer weiter. Einfach noch ein Spiel gewinnen. Egal, wie betrunken man letztendlich noch von der Meisterfeier war.
Der Absteiger wurde also mit 5-2 Toren abgefertigt und eigentlich hätte somit alles gut sein können. Jetzt noch nachlegen gegen Freiburg, die zum Saisonende und gerade bei bereits gewonnenen Meisterschaften ein gern gesehener Gast im Westfalenstadion waren. Erinnerungen an das Spiel, in dem Schmadtke stürmte und Schumacher noch einmal Deutscher Meister wurde, waren erlaubt, aber in der nächsten Woche doch hinfällig. Das hatte vornehmlich zwei Gründe. Einmal nervte mich die Nervosität einiger Fans, die jede Äußerung seltsamer Berater auf die Goldwaage legten und wankelmütig Spieler fortjagen, bald für immer behalten wollten.
In der nächsten Saison, so hörte man von manch einer Seite, würden wir gänzliche ohne Stürmer dastehen. Barrios würde zum Ausklang seiner Karriere bei einem chinesischen Wanderzirkus unterschrieben und Lewandowski, getrieben von seinem nutzlosen Berater, bei einem überschuldeten englischen Klub anheuern. Dann bliebe uns nur Duckschi Duksch, dessen Leistungen in der zweiten Mannschaft zumindest ein wenig Hoffnung machten. Den, so sagten sie, würden sie jetzt aber gerne auch mal bei den Profis sehen. Dass Klopp bislang auf ihn verzichtete hatte, bei all diesen abgehobenen Stars, sei wenigstens unverzeihlich. Und so konnte man eigentlich die komplette Mannschaft durchgehen. Sie würde niemals mehr so sein, wie noch im vergangenen Jahr.
Den Kritiker spielte natürlich das Schicksal von Sahin in die Karten. Der Meinerzhagener hatte, getrieben von seinem gierigen Berater und seinem Wunsch nach einer großen Karriere, eben jene Karriere weggeschmissen und stand jetzt ein Jahr nach seinem Wechsel von der Strobelallee vor dem Scherbenhaufen seiner Karriere. Er hat uns belogen, sagten sie und zogen Worte heran, die Sahin so nie gesagt hatte. Wenn das Schicksal von Sahin auch schmerzte, die Undankbarkeit, die Häme, der Spott, mit dem er nun überzogen wurde, war die eigentliche Enttäuschung. Im nächsten Jahr wären dann Lewandowski, Kagawa, Barrios & Co dran.
Bei DerSamstag! hatten wir bereits vor längerer Zeit beschlossen, uns an diesen Spekulationen nicht zu beteiligen. Wir berichteten, wenn Fakten geschaffen waren. Hatten wir exklusive Informationen, so überprüften wir sie und schrieben erst dann drüber. So war uns der Reus-Coup vielleicht in die Hände gefallen, aber gute Arbeit zahlte sich am Ende aus. Wir gaben nichts auf die Worte irgendwelcher Berater, die auf einmal im großen Geschäft mitmischen wollten und sich so die Finger verbrannten. Wir gaben aber auch nichts auf die Quellen im Verein, die sich immer nur wichtig machen wollten, und eigentlich wenig bis gar nichts zu sagen hatten. Wir waren DerSamstag! – und somit eindeutig zur Seriosität verpflichtet. Das führte manchmal dazu, dass unsere Auflage in Richtung Null ging, aber die wenigen eingefleischten Leser vertrauten uns und wir vertrauten ihnen.
Als ich nach dem Spiel zurück am Schreibtisch war, erschütterten mich die Anmaßungen der Presse, der Berater und der Fans weiterhin gleichermaßen. In die Richtung also zielte dann auch mein Kommentar.
Fußball ist ein Geschäft – doch Borussia eins mit Seele
(berlin / 29.04.2012) 5-2 gegen Lautern, 37 Auswärtspunkte, tolle Abschiedsgeschenke im Sommerkick. Die Borussia-Welt könnte okayer nicht sein. Doch der Gerüchtschatten stellt Borussia kalt. Mit dem Erfolg steigen die Ansprüche. Und die sind einigen über den Kopf gewachsen. Da spielt der Ballspielverein die beste Saison seines Lebens und das Umfeld ist nervös! Berater reden Unsinn, Fans glauben Unsinn und wünschen Spieler zum Teufel. Fußball ist ein Geschäft. Auch in Dortmund. Daran wird man sich gewöhnen müssen. Doch Fußball ist in Dortmund auch ein romantisches Geschäft. Daran sollte man festhalten. Die 11 Freunde auf dem Platz, mit den Kumpels auf der Bank. Das muss Borussia sich bewahren. Egal, wer auf dem Platz steht. Egal, wer am Ende der Saison oben steht. Borussia Dortmund ist gesegnet: 2 Meisterschaften in Folge, in dieser Saison vielleicht vom Double gekrönt. Die sportliche Zukunft liegt nicht in den Händen der Fans. Sie liegt in den fernen Händen der Geschäftemacher. Fußball ist ein Geschäft, doch Borussia hat eine Seele. Die, das garantiert DerSamstag!, wird nicht noch einmal veräußert! Das Projekt 81² lebt! Wozu also um die Zukunft sorgen? Das Stadion wird nächste Woche die Antwort auf den Tribünen geben. Das schönste Stadion der Welt sieht den schönsten Fußball der Welt! Und das sollte Argument genug sein. Für die Zukunft, die die Fans nur so beeinflussen können. (dembowski / DerSamstag!)