Nach dem neunten Bier war die Welt wieder in Ordnung. Redermann und ich hatten uns im Soldiner Kiez an einer Bar verschanzt und hämmerten die Getränke nur so in uns rein. Langsam wich der Schmerz der Niederlage der beruhigten Euphorie der mit unfairen Mitteln geschlagenen.
„Ihr seid doch die Bayern, die Bayern!“, brüllte Redermann sie an und die restlichen Dortmunder und die Berliner stimmten alle ein. „Super Bayern, super Bayern, hey hey!“ Aber sie zierten sich und stritten ihr Fantum ab. Sie schoben die Verantwortung weiter wie die Guardiola-Elf in dieser erbarmungswürdigen Saison die Bälle.
„Sie sind es einfach nicht wert“, sagte ich zu Redermann, den es längst nicht mehr auf seinem Barhocker hielt. „Orange trägt nur die Müllabfuhr, Orange trägt nur die Müllabfuhr.“ Er war längst im WM-Modus. Wieso auch immer. Die Saison war noch lange nicht vorbei. Und Redermann wusste es, hätte es zumindest wissen müssen.
Kurz vorher stand ich mit Redermann noch im Regen des Sommergartens. Um uns herum die seltsame Mischung aus Plastikpokalhutträgern und Wilo-Dampfer-Fahrern, die sich allesamt mit Leichtbier versuchten, ins Aus zu befördern. Wir waren noch auf Ulti-Mate, schleppten uns so bis zum 1:0 der Borussia.
Was ein Treffer, was eine Willenskraft von Hummels. Der Sommergarten stand Kopf. Da machte es keinen Unterschied mehr, dass nur noch der Kommentar weiterlief, das Bild sich langsam verabschiedete. Wir lagen uns in den Armen. Diesen Vorsprung würden wir nicht mehr aus der Hand geben. Pokalsieg, Mega-Krise im Süden, und der süße Triumph, die beste Mannschaft der Welt zu sein.
Doch bald schon wurde es still. Das Bild war immer noch ausgefallen. Jetzt aber hörte man den Kommentar, der einfach weiterlief. Und kein Wort über die grandiose Führung der Borussia. Und kein Wort über das brutale Foul Rafinhas. Das, denn wir sahen es ja nicht, fanden wir jedoch erst später heraus.
Doch der Navigator, dessen war ich mir nun sicher, hatte seine Power verloren. Er hatte uns eingeladen.
„Schaut vorbei!“, hatte er gesagt. Und natürlich waren wir gekommen. Wenngleich der Navigator mit massiven Problemen zu kämpfen hatte, so war er immer noch dran. Hatte ich gedacht.
Da stand er nun also. Während sich ein paar Meter weiter die Dortmunder Fans auf dem Breitscheid-Platz die Kante gaben, hatte das König in Borussia-Farben geflaggt. Und alle waren sie da. Siegessicher. „Klares Ding für den BVB!“ Er zeigte mir seine Scheine. Sie sahen echt aus. Wir saßen vor dem König, und hin und wieder drückte sich ein Bayern-Fan an der Kneipe vorbei. Sah er uns, zog er schnell seine Jacke hoch. Und ich schickte ihm ein paar Beschimpfungen hinterher.
Wenn ich etwas nicht ausstehen konnte, dann waren es Bayern-Fans, die nicht einmal zu ihrem Verein standen, sondern nur mit der Angst der Ungeliebten lebten. Schlimmer waren nur die, die trotz ihres Bayern-Fantums vorgaben, neutral zu sein. Sich in ihren Redaktionsstuben und in ihren Hinterzimmern einrichteten, und die Weisheit mit Löffeln gefressen hatten.
Es waren die, die Uli Hoeneß immer noch für den besten Mann hielten, es aber öffentlich nicht sagen wollten. Es waren die, die mit Marco Reus argumentierten, wenn man Mario Götze und Robert Lewandowski sagte. Es waren die, die sich auf der Gewinnerseite sahen, und die doch nur traurige Verlierer waren. Es waren die, die wir Stunden später in der Kneipe grübelnd über einem Bier sahen, und die sogar da, mit einem 2-0 Sieg im Rücken, ihr Fandasein neutralisierten.
„Ey, mach Musik. Du hast gewonnen“, schrie Redermann also eine der Vögel an. Er war unzweifelhaft ei Bayern-Fan. Er trug Lederhosen und Bayern-Trikot. Doch er wendete sich nur ab, zeigte auf seinen Kollegen und sagte: „Der hat mich mitgenommen!“
Wie konnte man nur so draufkommen? Wie konnte man nur so sein. Ich stürzte noch ein Bier und sang „dann haben wir umsonst gelebt.“
„Der Navigator. Was machen wir nur mit dem Navigator“, sagte ich zu Rederman. „Der hat wirklich keinen Lauf.“ Dass der Ball drin war, dass Rafinha gefoult hatte, dass das Spiel eigentlich 11 gegen 9 hätten enden müssen – alles zählte nicht mehr. Oder doch?
„Was ist, wenn sogar der Navigator keine Macht mehr hat? Was ist, wenn man ihn ausgebremst, ja, kaltgestellt hat, damit die Liga, damit Deutschland die Ergebnisse bekommt, die sie wollen? Was ist dann?“
„Wir machen ne Petition! Ne richtig dicke Online-Petition mit 3D-Analyse!”
„Coole Nummer. Das dürfte klappen. Wider dem Betrug. Das dürfen wir so nicht schreiben, aber, klar, mit DerSamstag! haben wir keine Chance. Wir müssen die Menschen ansprechen, wir müssen sie gezielt in ihr Herzen treffen. Die sind erregt. Schon wieder Betrug. Immer Betrug. Wie letztes Jahr. Die große Verschwörung. Gegen den BVB, oder, hah, noch besser: Pro Bayern. Denn das ist ja schon auffällig.“
„Hast Du noch die Adidas-Unterlagen?“
„Puh. Harter Stoff. Das braucht noch ein paar Jahre. Wir lassen das gerade analysieren. Piotr ist dran. Ich war da dran, über Wochen. Im Keller.“
„Ok. Dann nur ne Petition. Aber in 3D! Damit es wirklich jeder versteht! “
„Ne Petition?“
„Ja, ne Petition. In 3D! Eat that!”
“Aber…”
“Nix aber, wenn wir 100.000 Unterschriften haben, muss der DFB dem BVB den Sieg zusprechen!”
„Das geht so einfach?“
Er schlich sich. Wir bestellten noch eine Runde Bier, draußen wurde es langsam hell. Der Plan war klar. Wenn nicht einmal mehr Der Navigator die Wahrheit manipulieren durfte, dann war in dieser Welt etwas verdammt verkehrt. Die Schrippen-Mutti stellte uns ein paar Brötchen auf den Tisch. Und lächelte.
„Dembowski, Redermann. Ihr seid wie ich. Immer im Kampf für die Gerechtigkeit.“
Ein paar Stunden später saß ich auf der Lamafarm, Koi schmeichelte sich an meine Beine, einmal beugte ich mich runter zu ihm.
„Es ist gut, wieder hier zu sein, Koi!“
„Is this real?“
Dörte hatte ihm in meiner Abwesenheit eine neue Sprache beigebracht. Die Petition war ein Selbstläufer. Redermann zurück in Dortmund.