Die Trostlosigkeit der Musikindustrie erschütterte mich bereits am zweiten Tag zutiefst. Sölden war seiner Frau auf einen Promotag nachgereist. „Du machst das schon“, hatte er noch gesagt und war dann verschwunden. Ich saß also im Büro, blickte auf die Gleise, überlegte mir, was bislang die unglaublichsten Zufälle in meinem Leben gewesen waren und wie diese mein Leben verändert, manchmal sogar schwerwiegend verändert hatten und ob es, bei genauerer Betrachtung, überhaupt Zufälle waren und ob ich nur aufgrund dieser unglaublichsten, wie ich auf die Gleise blickend immer wieder wiederholte, Zufälle überhaupt der geworden war, der ich jetzt bin. Und was mich sonst dazu gemacht hatte. So schlug ich die Zeit tot. Was ich machen sollte, hatte Sölden nicht gesagt. Auf meinem Account praktikant@teenagekickspr.org kamen keine Mails an, weil ich nie welche verschickte hatte und was ich auf Facebook noch retten sollte, erschloss sich mir auch nicht.
Im Regal fand ich das Andrea Schroeder-Album, erinnerte mich, dass Sölden mir davon mit den Worten „Die machen wir ganz groß“ erzählte hatte, nahm mir ihre Biographie und hörte und las und hörte und las, dass sie aus dem Wedding kam. Wieso, dachte ich, wieso musste sie das Ö gegen einen Umlautersatz tauschen, aber ansonsten war das schon der klassische Soundtrack zu einem Spaziergang über die nächtliche Pankstraße. Die Neonlichter der Spielkasinos und Wettstuben, ausgeleuchtet in schwarz-weiß. Langsam kroch die Dunkelheit über das Gleisdreieck vor mir, ein paar Radfahrer schoben sich auf die Brücke an der Behmstraße. Oben würden sie stehen und die Aussicht über Berlin genießen, bevor sie sich den Schwedter Steg hinunter in Richtung Mauerpark stürzten. Rechter Hand lag das alte Hertha-Stadion und das alte Hertha-Kasino. Irgendwas hatte sich dort verändert, doch es war mir egal.
Als das Album zu Ende war, hatte das Telefon immer noch nicht geklingelt, war mein Mail-Account immer noch leer. Ich surfte ein wenig im Netz, in dem auch nichts passierte. Und fragte mich langsam, was Piotr mit diesem Job hatte bezwecken wollen. Dann halt schauen, was der Spielplan am Wochenende so hergibt, dachte ich mir. An das Ajax-Spiel wollte ich nicht denken. Wir würden dort antreteten, einen Punkt holen und vielleicht auch mehr. Würde schon irgendwie passen, wie, da würde mir der weitere Verlauf des Abends in allen Belangen recht geben, die Bayern mittlerweile nur noch wenige Schritte vom Abgrund waren und wie das DerSamstag! aber auch bereits vor ein paar Tagen vorausgesagte hatte.
Der Spielplan des Wochenendes gab ein paar gute Spiele her. Wolfsburg gegen Bremen mit der wunderbaren Allofs-Geschichte, die mich bereits nach wenigen Momenten in einen Sekundenschlaf fallen ließ und aber – während im Hintergrund Tocotronics 3 Schritte vom Abgrund in Endlosschleife liefen – auch das ewigste Derby aller Zeiten: Greuther Fürth gegen Nürnberg. Auf dem Platz, da war ich mir nach dem Fürther Gastspiel in Dortmund sicher, würde nix passieren. Aber abseits davon gab es natürlich richtig gute Ideen. Die fand ich im Amtsblatt Fürth
Bekanntmachung:
An alle Fans des 1. FC Nürnberg, die am 24. November 2012 aus Anlass des Fußballspiels der SpVgg Greuther Fürth gegen den 1. FC Nürnberg den nachstehend definierten Bereich des Stadtgebietes Fürth aufsuchen wollen:
Vollzug des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG);
Sicherheitsrechtliche Allgemeinverfügung aus Anlass des Heimspiels der SpVgg Greuther Fürth gegen den 1. FC Nürnberg in der Trolli Arena am 24. November 2012
Die Stadt Fürth erlässt folgende Allgemeinverfügung: 1. Vom 24. November 2012, 10 Uhr, bis 25. November 2012, 2 Uhr, ist allen Personen außerhalb von öffentlichen Verkehrsmitteln der Aufenthalt sowie das Betreten des Stadtgebiets Fürth innerhalb des in dem beigefügten Lageplan rot umrandeten Bereichs, verboten, sofern
a) es sich optisch (zum Beispiel aufgrund der Kleidung, Mützen, Schals, Abzeichen etc.) oder akustisch (einzeln oder gemeinsam skandierte Parolen) erkennbar um Anhänger des 1. FC Nürnberg handelt, die in Gruppen von mehreren Personen (auch Kleingruppen) unterwegs sind,
b) es sich optisch bzw. akustisch erkennbar um Personen oder Personengruppen handelt, die aufwieglerischen Fangruppierungen (zum Beispiel den Ultras) des 1. FC Nürnberg zuzurechnen sind,
c) Anzeichen dafür erkennbar sind, dass sich Personen oder Personengruppen, die den Fans des 1. FC Nürnberg zuzuordnen sind, zu einer Marschformation zusammenschließen wollen, oder
d) Fans des 1. FC Nürnberg provokative oder aufwieglerische Bestrebungen erkennen lassen, und deshalb befürchtet werden muss, dass sich diese umgehend mit anderen Gruppen zusammenschließen und daraus resultierend exzessive Verhaltensweisen, Aggressionen oder gewalttätige Auseinandersetzungen begehen.
Fürth 1 Nürnberg 0. Ich war begeistert. Endlich macht es mal einer, rief ich aus. Fußballfans sind Verbrecher! Einen Schal tragen, wo kommen wir da hin? In Reisers Postille bereiteten sie bereits vor, ebneten mit glasklaren Statistiken den Weg. Die schlimmsten Fans der Liga. Angst im Stadion. Niemand fühlt sich sicher. Der 12.12.12 war der Tag des Weltuntergangs, der Maya-Kalender war da nicht eindeutig. Aber das zählte gerade nicht. Ich war unter Zeitdruck und musste den Kommentar fürs Wochenende vorbereiten. Den konnte ich jetzt kalt schreiben.
Franken-Derby von Krawallen überschattet
(berlin/24.11.2012) Fan-Gewalt immer schlimmer. 350 Idioten verhaftet. Fürther Polizei hilflos. Was geht in diesen Köpfen vor? Das älteste Derby der Liga wurde von den schlimmsten Krawallen der Bundesliga-Geschichte überschattet. Im Vorfeld des Frankenderbies kam es zu 350 Verhaftungen. Fans des FC Nürnberg waren mit Schal und Trikot in der Fürther Innenstadt aufmarschiert – trotz Verbot. „Ich weiß nicht, was in diesen Köpfen vorgeht. Die Politik muss endlich eingreifen,“ hieß es aus Polizei-Gewerkschaftskreisen. Der Polizeibericht zeichnet ein Bild des Schreckens. 210 Trikots, 105 Mützen, 420 Schals. Lernen es diese Idioten denn nie? Nur mit Wasserwerfern konnte schlimmeres verhindert werden! Am 12.12.12 ist Stichtag. Jetzt braucht es die harte Hand der Politik. Der Fußball kann sich nicht mehr wehren! (DerSamstag! / dembowski)