Ich rannte und rannte und rannte, mal links, mal rechts, mal geradeaus. Das Gewehr hatte ich auf meiner Flucht fallen lassen. In weiter Ferne hallte die Stimme von Tomasz nach. “Bleib stehen, Du Lump! Du bist die längste Zeit Konstrukteur gewesen!”. Auch Winowski schwieg nicht, ich vernahm ein verwirrtes “aber ich dachte, wir wären alle Freunde!” Die neue Niedlichkeit hatte nun also auch Einzug in ein verdammtes Unterwasseraquarium nahe Swinemünde gefunden. Irgendwann landet ich vor ein paar Stufen. Ich sprang sie hoch, drückte die Klappe, war direkt auf dem Grenzstreifen, nur ein paar Meter vom Strand entfernt. Weiter, weiter!
EM – Tag 10
Paul’s Boutique, Oderberger Straße
Deutschland vs Dänemark“So sehen Sieger aus”, hallt es nach der bescheiden Leistung der deutschen Nationalmannschaft über die Kreuzung Eberswalder Straße / Schönhauser Allee. Bunt bemalte Menschen rennen zwischen hupenden Autos hin und her. Bei soviel Freude muss Deutschland mindestens den Titel geholt haben, denke ich an der Sparkasse stehend. Ein paar Polizisten beobachten das Treiben von den Verkehrsinseln. Hin und wieder geht ein Böller hoch, das Feuerwerk überdem Mauerpark ist da bereits abgebrannt.
Den Tag hatte ich auf dem Fahrrad sitzend in der Abgeschiedenheit des Barnimer Lands verbracht, mir den Fortschritt der Bauarbeiten am Schiffshebewerk in Niederfinow angeschaut. Auf einer Wiese einige hundert Meter vom Schiffshebewerk sitzend, gab es nur die Sonne, die Vögel, den Wind, das Wasser und die in weiter Ferne in das Nichts blickenden Menschen auf dem Schiffshebewerk. Vor dem Biergarten hatten sich ein paar Rocker versammelt, die von ein paar gelangweilten Polizisten beobachtet wurden.
Am Abend heißt es Oderberger statt Oderberg. Vor Paul’s Boutique stehen ein paar Stühle, sitzen ein paar Menschen. Nicht jeder findet einen Platz. “Ist hier noch frei?'” “Leider nein! Das ist eine Privatveranstaltung” “Danke. Schönen Abend noch! Eins Null für Dänemark”, bläfft der in Deutschland-Farben bemalte Hawaiihemdträger zurück, spaziert mit seiner Frau weiter. In der Reihe vor mir werden Deutschland-Küsse rumgereicht, doch was zählt ist auf dem Platz. Dort nimmt erst alles seinen gewohnten Lauf. Nach dem Ausgleich macht sich Nervosität breit. Jetzt auch noch der Führungstreffer für Portugal. Das Ende ist nahe, zumindest denkbar. “Wenn schon kein Autokorso”, sage ich “dann wenigstens Randale!”. Doch soweit kommt es nicht. Das Recht auf eine ordentliche Party am Sonntagabend, dafür geben die restlichen Bars auf der Oderberger, der Kastanienallee, im Prater alles. Bender trifft. Deutschland ungeschlagen. Besser als Spanien! Und jetzt gegen die Griechen. “Die hassen sich”, hatten sie sich bereits in der Bahn erklärt. “Wegen Euro und so”. Aber die radikale Linke landet in Griechenland nur auf Platz 2. Jetzt hassen die sich bestimmt nicht mehr.
Das aber ist in der trunkenen Siegesnacht ohnehin eine Randnotiz. Wie Sieger aussehen, demonstrieren die bald auf der Kreuzung sitzenden Massen. Zeit für eine Party! Deutschland hat sie alle geschlagen. Und schon am Freitag geht es weiter. Deutschland gegen Griechenland, die hassen sich. Ich hasse Schalke. Die Leistung der deutschen Nationalmannschaft berührt mich weiterhin wenig.