Langsam bewegte er seinen Kopf in Richtung Sitznachbar und flüsterte: “Das Ding werde ich austauschen!“ Sein Nachbar schüttelte nur den Kopf. War es die Idee? Oder war es doch mehr? Wieder einmal war ich einer großen Sache auf der Spur.
Gut eine Stunde vorher stand ich im Wappensaal des Roten Rathauses, aufgeschmissen, ein wenig Finger Food vor mir und beobachtete Hertha-Mann Michael Preetz. Der ehemalige Stürmer schmiss sich gemeinsam mit DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ins Kameralicht. Einer musste es ja tun. Jemand reichte den beiden Strategen eine Currywurst, aber Niersbach lehnte dankend ab, Preetz nicht. Einer musste Berlin präsentieren.
Bereits am Alexanderplatz kroch ein eisiger Wind aus den U-Bahn-Schächten, auf die Frühlingsmarktbuden hatte sich eine dünne Eisschicht gelegt. Ich zog meinen Kragen noch ein wenig höher, spannte meine Schultern und gegen die frostige Kälte in Richtung Rotes Rathaus, dessen Fahnen schockgefroren in der Luft hingen.
Eiszeit in Berlin. Keine Entschuldigungen im Rathaus. Aus den Boxen im Großen Festsaal dröhnte eine Cool-Jazz Version des Beatles-Klassikers Back In The USSR, und von den Wänden blickte Otto von Bismarck staatsmännisch auf den sich nur langsam füllenden Saal.
„Die haben nur Contento und Dremmler geschickt“, raunte mir jemand zu. „Und von Dortmund sind Subotic und Dickel da.“
Eiszeit, fernab des kalten Polar. Im Wappensaal labten sich die Gäste an Finger Food und hauchten Nettigkeiten in alle Richtungen. „Ich hatte einen schlimmen Flug“, sagte einer und der andere antwortete: „Die Berliner Mädchen bringen mich zum Singen.“
Ich ging zurück in den Festsaal und verfolgte für einen kurzen Moment die Bemühungen der Lokalradioreporterin, die auf ihrem Smartphone eifrig Steine in die richtige Reihenfolge wischte. „So ein Scheißleben“, sprach ich sie an. „Ja. Immer nur sitzen und warten. Und dann ist es noch so kalt hier.“
Ich erklärte ihr die Sachlage. Watzke auf der einen Seite. Hopfner und Rummenigge auf der anderen Seite. Der Kredit von 2004, der strittige Zinssatz. Mutter Theresa und der Baron von Münchhausen. Mario Götze und Robert Lewandowski. Die Schneise der Zerstörung. Die Häme. „Das ist Fußball. Das ist es!“. Sie nickte nur. „Cathy hat mir davon gar nichts erzählt. Wir haben neulich mal ein Soja Latte getrunken. Lecker. Die hat ja total Angst vor Brasilien und nimmt kein Schmuck mit. Ob ihr das steht?“
„Fußball ist Krieg“, entgegnete ich ihr. Auf der Bühne brachten sich die Offiziellen derweilen in Stimmung. Sie waren kurz vorher unter Fanfarenklängen vor das Publikum getreten. Klaus Wowereit, der mich immer an Eisbär Knut erinnerte, war bester Dinge, Innensenator Henkel redete vom 1.Mai. Niersbach und Generalsekretär Sandrock waren begeistert. 500.000 Tickets, 500 Medienvertreter aus aller Welt und Wembley längst den Rang abgelaufen.
Von der Bühne piesackten sie Preetz, dessen Gesicht immer länger wurde. Kein Pokalfinale in 30 Jahren. „Ah doch. Die Hertha-Amateure. Aber Ulf Kirsten in der 83.Minute“. Er hatte damals die Träume platzen lassen, seitdem schied Hertha in Kiel, Kaiserslautern, Worms, Koblenz und Stendal aus.
„Langweilig“, bemängelte die Reporterin und erzählte mir weiter von ihrem Treffen mit Cathy. „Die ist total auf dem Boden geblieben. Und so natürlich. Die hat es.“ „Und ne heiße Schnitte!“ „Du darfst die nicht auf ihr Äußeres reduzieren. Da hat die total mit zu kämpfen.“
Auf der Bühne stand jetzt der Pokal. „Wir haben eine zusätzliche Sicherheitsfirma beauftragt. Aber ob sie den Pokal sicher können“, erzählte Wowereit mit einem breiten Grinsen. „Will der ihn klauen?“ fragte mich die Reporterin. „Wahrscheinlich. Fußball ist Krieg“ „Sie immer mit ihrem Krieg“
Jetzt waren Contento, Dremmler, Subotic und Dickel auf der Bühne. Die beiden Ex-Profis stritten sich über die schönere Vitrine, und Dickel wollten noch akribischer putzen und verlangte Bierwagen an jeder Ecke der Stadt. „Wir bringen 40, 50, 60, 70, ach 80.000 mit.“. Subotic erzählte vom Comeback und Contento wurde nach einer Frage abgewürgt. „Entschuldigung, wer ist dieser Typ da auf der Bühne?“ fragte mich die Reporterin. Mich fröstelte es. Im Internet startete eine Petition für ein Public Viewing in der Waldbühne. Die Reporterin war wieder bei Cathy.
Noch einmal Sandrock. Sein großer Auftritt. Verpatzt von einer Assistentin, die ein Replikat des Pokals zu früh, und zu wenig dramatisch aus dem Nebenraum in Richtung Bühne trug. „Das hatte ich mir ein wenig anders vorgestellt“, zürnte Sandrock, um die Kopie sodann an das Olympiastadion weiterzugeben. Der Betreiber freute sich, Wowereit schmiedete seinen Plan. Es war Zeit zu gehen. An der Volksbühne wurde es wärmer.