“Heute ist ein guter Tag!” Schill schaute Dembowski ungläubig an. Erst war der Ermittler wochenlang nicht aufgetaucht, und jetzt saß er da, trank Tee, sah die nächste Dortmunder Niederlage, und sprach von einem guten Tag.
„Das hier fühlt sich wie ein Sieg an, wie ein Wendepunkt. Ich habe so viele gute Dinge gesehen. So viele kleine, gute Dinge.“
Schill verstand Dembowski nicht.
„Hast Du nicht laut Krise geschrien, als es noch keine Krise war? Wieso verschließt Du jetzt die Augen? In der Mannschaft stimmt es nicht. Das sag ich Dir als Freund, das sag ich Dir als Hamburger. Klopp erreicht die Mannschaft nicht mehr. Er ist selbstherrlich, er ist arrogant. Immer sucht er nach Ausreden.“
Schill erzählte Dembowski von der Pressekonferenz. Der Ermittler hatte sie nicht gesehen. Er wollte sie nicht sehen. Weil es nur Worte waren. Und der Worte war er leid. Er war so vieler Dinge leid, die wenigsten aber hatten mit der Borussia zu tun, erklärte er Schill.
Doch der schaute weiter besorgt, wollte wissen, wo Dembowski gewesen war und warum er nicht dem Schultheiss frönte. Aber der Ermittler schwieg. Nicht weil er dem kauzigen Bademantelträger die Wahrheit vorenthalten wollte, sondern weil genug geredet worden war.
Der Kneipier ging erneut auf die Pressekonferenz ein. Klopp, so erzählte Schill, habe Journalisten abgekanzelt. „Die, die solche Artikel schreiben, haben keine Ahnung von Fußball, hat Klopp gesagt“, sagte Schill. „Und ich frage mich jetzt, hat der Trainer überhaupt Ahnung von Fußball und erreicht er das Team mit seinen immer gleichen Sprüchen von der Festplatte, dem Neustart, dem unangenehmen Gegner überhaupt noch? Ich bezweifele das“, sagte Schill.
„Du bist auch Hamburger. Du musst zweifeln.“
„Aber die Borussia ist doch jetzt in einer Krise. Das kannst Du doch nicht vom Tisch wischen“, sagte Schill und blickte noch einmal auf die Tabelle. „Die haben so viel Geld investiert, niemand davon spielt, und wenn nicht annähernd seiner Ablöse entsprechend. Nicht einmal Mkhitaryan, nicht einmal Aubameyang. Das zweite Jahr zählt beim BVB auch nicht mehr. Ihr habt die falschen Spieler gekauft. Ihr habt“, sagte Schill, „unter Druck die falschen Entscheidungen getroffen, und diese Fehler im letzten Jahr noch kaschieren können. Jetzt holt Euch die Realität ein. Ihr fallt. Dein Leuchtturm stürzt. Das war es!“
„Die Menschen“, sagte Dembowski und nahm noch ein Schluck Tee, „lieben das Scheitern. Die Menschen lieben die Geschichten vom Aufstieg und vom Fall. Sie begleiten Dich hoch und sie nehmen es persönlich, wenn es dir dort oben einmal schlecht geht. Sie fühlen sich angegriffen, und in ihrer Wut und ihrer Ausweglosigkeit, und, das darfst Du nicht unterschätzen, in ihrer Hilflosigkeit machen sie dich ein.“
Mittlerweile war der Ton aus. Seit einiger Zeit hatte Schill einen Plattenspieler hinter der Bar. Wenn die Jukebox mal nichts hergab, oder wenn der Ermittler kam und redete. Dann legte er ihm eine Platte auf. Und untermalte seine Nächte. Mehr konnte er nicht für ihn tun.
Und so sang Nils Koppruch seine Lieder vom Ende der Nacht. Das Jazz-Album. Fink – Fink. Das mit dem Schweigen, das mit dem Bleiben. Auch Koppruch war nicht mehr. Wie so viele der Dembowski-Helden. Doch hier sang er noch.
„Du kannst verloren und verflucht sein, und Du kannst die Stunden zählen, die zu lang sind und dich quälen. Du weißt den Weg und auch das Ziel nicht. Und ob es Nacht oder schon Tag ist. Du hast vergessen, wo du her bist. Und ob es richtig oder falsch ist.“
Schill fand das passend und Dembowski wohl auch, den er liebte dieses Lied, dieses Album und es schmerzte ihn zu wissen, dass da nichts mehr kommen würde.
„Verloren und verflucht. Starke Worte, Schill!“ sagte der Ermittler. Er saß aufrecht, rührte in seinem Tee. „Danke!“
„So ein wenig habe ich bei euch auch das Gefühlt. Ihr habt eure Vergangenheit vergessen, ihr sucht eure Identität und ihr findet nichts. Ihr seid hilflos. Ihr habt kein Vertrauen mehr. Und ihr habt falsch eingekauft, dabei bleibe ich.“
„Ja, und die Bayern wollten es so. Die wollten Fehler provozieren. Moment, ach, ach, Fink! So weise Worte“, sagte Dembowski. Er war jetzt abwesend, hatte den Faden verloren. Und man bekam das Gefühl, dass da irgendwas anderes war, etwas Größeres. „Wir sind kein Werder Bremen“, murmelte er. Schill fand die Erklärung zu einfach. „Geld hattet ihr trotzdem genug“, sagte er.
„Schau. Wir haben einen Torwart, der sich für Manuel Neuer hält, aber der Roman Weidenfeller ist. Wir haben ein Kapitän, der nicht da ist, der so wie ich hier abschweife, immer abschweife, weil ich mich der Situation nicht stellen will, auf der Suche ist. Er will alles und vergisst vieles. Die beiden Spieler heute. Dazu fehlte uns Durm. Wir waren mit 3 Mann im Zentrum. Und Kevin wäre links gewesen, hätte Räume gerissen, hatte geackert.“
Aber das war Schill zu einfach. „Reus, Gündogan, Mkhitaryan, Kagawa, Immobile“, zählte er auf.
„Wir brauchen Zeit. Das wusste ich. Und wir bekommen keine Zeit. Das wusste ich. Die werden wir jetzt bekommen. Unter Druck. Unter Erregungsattacken der üblichen Verdächtigen. Klopp baut seine Mannschaft on the fly. Die haben so alle noch nie zusammengespielt. Die hatten keine Vorbereitung. Nicht zusammen. Und manch einer nicht einmal alleine“, sagte Dembowski.
„Aber was willst Du mir sagen?“ fragte Schill, „dass alles irgendwie gut wird. Mit der Zeit.“
„Niemand hatte jemals gesagt, dass es einfach wird. Gehofft. Klar. Aber gesagt? Vielleicht. Aber was ich heute gesehen habe, hat mir Hoffnung gemacht. Vielleicht auch nur für 10 Minuten. Aber das ist der Weg. Muss man nicht mitgehen. Aber der ist ohne Alternative“, sagte Dembowski. „Wir wirken ideenlos, wir wirken planlos, und unkonzentriert. Das waren wir auch. Aber nicht heute. Heute waren wir in der Vorbereitung. Wir verzögern. Das reicht nicht im Ligabetrieb. Nicht jetzt. Aber es wird reichen.“
„Aber die Meisterschaft ist durch, oder?“, lachte Schill, und Dembowski lachte auch. „Mach ma nen Schulle klar!“