Bekanntlich war ich immer noch auf der Suche nach dem verdammten Komaroff. Mal verschwand er aus meinem Blickfeld, doch an den kalten, klaren Tagen im frühen März wurde mir langsam klar, dass ich diesen Fall zu lösen hatte. Es ging um meine Ehre als Ermittler. Da mir das Handbuch in dieser Hinsicht jedoch nur wenig versprach, hatte ich David Simmons Homicide ausgiebig studiert. Selbstvertrauen konnte ich daraus nicht ziehen. Im Handbuch der echten Ermittler stand bereits unter Punkt 2: „Ein Opfer wird nur einmal getötet, der Tatort aber kann tausend Mal ermordet werden“

Nun hatte ich nicht einmal ein Opfer, geschweige denn einen Tatort. Ich war aufgeschmissen. Mir blieb nur der latente Verdacht, dass mit diesem Rothaarigen etwas überhaupt nicht stimmt. Er hatte das Zeug zum Massenmörder und der Finger war sicher nicht das letzte Körperteil, welches seinen Opfern fehlen würde. Der Typ war mit Vorsicht zu genießen.

Er machte auf Allerweltsidiot, verlieh seinen Überlegungen einen intellektuellen Anstrich, malte seinen Taten in den Abendhimmel und saß neben mir in Kneipen. Man konnte leicht vergessen, was er zum Jahreswechsel bereits geplant hatte. Im letzten Moment war ich dort einem seiner Schergen entkommen und nun drehte er weiter hohl. Ich musste ihn finden! So schnell wie möglich.

Mir blieb dafür wenig Zeit. An den Wochenenden nahm mich der Fußball voll in Beschlag, und so mehr wir uns dem Saisonende annäherten, umso weniger Zeit würde mir bleiben. Ich musste schnell handeln oder aber mir meine Niederlage in meiner ersten Ermittlung eingestehen. Dafür war es noch zu früh. Einfach mal den Arsch hochkriegen, wenigstens an zwei, drei Tagen die Woche den Ballsport zur Seite schieben, mich vollständig auf die Ermittlungen konzentrieren.

Ein Blick in meine Aufzeichnungen jedoch zeigte mir, wie hilflos ich bislang in dieser Angelegenheit agiert hatte. Kaum war er mir untergekommen, war er bereits wieder aus meinem Leben getreten. Sein Name klang nach, sein Aussehen hatte sich eingeprägt, doch in welcher Straße dieser Stadt ich mich auch aufhielt, Komaroff wollte sich nicht zeigen. Für einen kurzen Moment hatte ich Hoffnung gehegt. Doch als die Polizei in der vergangenen Woche den Taxientführer dingfest gemacht hatte, wurde mir schnell klar, dass Komaroff mit der Sache nichts zu tun hatte. Er hatte sein Aussehen vielleicht verändern können, jedoch nicht seine Hautfarbe.

Doch die Steine, die ich umdrehte, waren glatt und die Kneipen, in die ich einkehrte, ließen mich nur noch betrunkener und ratloser zurück. Von einem rothaarigen, intellektuellen Massenmörder wollten sie nichts gehört haben. Mir blieb nur das Oldie-Eck. Ich nahm mir vor, meine Ermittlungen auf die Kneipe zu beschränken. Die kommenden Tage würde ich aufstehen, auf einen Sprung in den Bürgerpark rübermachen und dann direkt bei Kneipenöffnung meinen Platz am Tresen finden. Ich hatte keine Wahl. Zumindest bis zum Freitag musste ich diesen Laden observieren. Mir graute es vor den süßen Schnäpsen, den alten Trinkern und dem jungen Partyvolk.

Wahrscheinlich, dachte ich, werde ich auch noch auf Patsche treffen. Wahrscheinlich wird Patsche dort rumhängen und mir wieder Vorträge halten. Er wird mir erklären, dachte ich, wie es ist, ein Mensch in einer Ausnahmesituation zu sein. Seine Rechtfertigungsmodelle waren nicht meine und würden es nie werden. Mir war es egal, mit wem er ins Bett stieg. Für mich ohnehin eine befremdliche Vorstellung. Wäre es nicht an Dörte, ich hätten den Gedanken bereits komplett verworfen. Dörte war einmal und sie würde, zumindest war das sehr wahrscheinlich, nie wieder zu mir zurückkehren.

Es war trostlos! Dörte weg und keine Spur von Komaroff. Piotr, der Arsch, hatte mich da ganz schön reingelegt. So wie meine Abhängigkeit von Reiser ihre Spuren hinterlassen hatte, so würden mich diese Verwicklungen am Ende noch komplett erledigen. Drei Tage in einer Kneipe. Drei Tage im Kampf mit den Schnäpsen, den alten Säcken, den schalen Bieren, der Schlagermusik und den trunkenen Besserwisser. Nur um am Ende vielleicht doch noch auf die Spur von Komaroff geführt zu werden.

Bevor ich aufbrach, legte ich mir meine Krawatte um, zog meine besten Schuhe an, warf mir meinen Mantel über und spazierte an den gelbbraunen Häusern des Soldiner Kiezes vorbei, bog dann zur Panke ab. Im Bürgerpark blickte ich ein letztes Mal auf die startenden Flugzeuge, ließ mich auf eine Bank nieder. Vergeblich wartete ich auf die Hundebesitzer.

Mein Denunziantentum musste sich rumgesprochen haben. Der Park war menschenleer, nur ein einsamer Jogger schleppte sich über Panke-Brücke. Vielleicht hatte ich überzogen, doch die Sucht nach Bestätigung hatte mich dazu getrieben. Ein paar Tage Spaß im Tausch gegen einen menschenleeren Bürgerpark. Ein Deal. Irgendein Deal. Immerhin.

Noch einmal sog ich die frische Luft ein. Es war an der Zeit, ins Oldie-Eck einzutauchen. Die nächsten Tage würden mich weiterbringen. Der verdammte Komaroff, ich musste ihn dingfest machen, bevor er erneut Blut roch. Mir blieben drei Tage Zeit.