Nicht in den Oderbruch, sondern ins Fürstentum zog es Dembowski am ersten Freitag im August
Als ich am vergangenen Freitag aus der Stadt flüchten wollte, denn ich hatte schon nach wenigen Tagen wieder genug von Suff, Gewalt und Transfergerüchten, und ich am Bahnhof Gesundbrunnen, an dem ich auf den um 14.38 Uhr in Richtung Eberswalde abfahrenden RE 3 wartete, stand, tippte mir jemand auf die Schulter und sang ein Lied – genauer: eine eingedeutschte Version des unsäglichen Kiss-Schlagers „I Was Made For Loving You“ – dessen genauen Inhalt ich beinahe sofort vergessen sollte, da mich beinahe zeitgleich der Anruf meines ewigen Mitstreiters und Korrektivs Redermann erreichte.
Nur für einen kurzen Moment, in dem der RE 3 erst einfuhr, dann seine Türen öffnete und in Richtung Nasses Dreieck und die dahinterliegenden Baukräne des Funktionsjackenkiezes Pankow abrauschte, war ich abgelenkt. Doch nicht das Verpassen des RE 3 in Richtung Eberswalde und somit auch in Richtung Oderbruch, brachte mich in Zeitnot, sondern es war vielmehr der plötzliche Aktionismus Redermanns, der mich aus der Ruhe und beinahe – ich muss es mir rückblickend eingestehen – aus der Fassung brachte.
Nicht Dembowski, der große Ermittler, der es noch zwei Tage vor dem Freitag der vergangenen Woche durch einen unglücklichen Zufall direkt von der Kreuzung Soldiner / Kolonie mit dem BVG-Bus direkt in die Ausnüchterungszelle geschafft hatte, konnte den vielleicht entscheidenden Kontakt in der immer noch nicht ganz gelösten, jedoch immerhin schon ganz und gar blutigen Lewandowski-Angelegenheit, herstellen, sondern Redermann, der ewig unterschätzte zweite Dembowski.
Als ich am vergangenen Freitag aus der Stadt flüchten wollte und ich am Bahnhof Gesundbrunnen auf den RE 3 in Richtung Eberswalde wartete, mir jemand auf die Schulter tippte und eine schreckliche Version des unsäglichen Kiss-Schlagers „I Was Made For Loving You“ sang, rief mich Redermann an, um mich über den vielleicht entscheidenden Hinweis zu informieren. Schon wenige Stunden später war ich, nach einem Flug von Berlin nach Friedrichshafen, in Redermanns Soulvan. Wir blickten über den Bodensee und passierten die beiden Grenzübergänge, die uns erst nach Österreich und dann in die Schweiz führten. Immer die A 13 runter näherten wir uns bald dem Fürstentum Liechtenstein.
Gabun spielt keine Rolle: Konsulate an der Hauptstraße 163
Dort, in der Hauptstraße 163, direkt der in diesem zwischen Banken und Rhein liegenden Landstrich, würden wir, so hatte erst Redermann und dann natürlich auch ich gehofft, auf den meist gehasstesten Spielerberater Deutschlands treffen. Es war einer dieser Momente, an denen sich unsere Wahrheit mit der Fiktion unserer kühnsten Träume vermischt und wir nicht mehr wissen, was wirklich passiert und was wir uns erträumen, all die Dinge, die wir zwar anstreben, jedoch nie erreichen.
„Schon verrückt“, sagte ich zu Redermann, der die ganze Zeit schweigend neben mir gesessen hatte, zwar hin und wieder seinen Kopf zu den Gang Starr-Tönen aus der alten Anlage bewegt, aber sonst eben nichts gesagt hatte und der mich jetzt anschaute und mir zustimmte. „Verrückt. Gerade noch in der Erdgeschosswohnung, ohne Perspektive. Jetzt das.“ Während Redermann sprach, beobachte ich einen schwarzen Raben, der sich auf dem Ortseingangsschild Schaan niederließ und scheinbar wehmütig seinen Gedanken nachhing.
„Schau Dir den Raben an“, sagte ich zu Redermann. „Der sitzt hier. Niemand weiß, wo er herkommt, wo er hinfliegt, wo er nächtigt, wann er geboren wurde und niemanden wird es interessieren, wenn er einmal gestorben ist.“ „Boah, Dembowski. Kannst Du einmal, nur einmal, mit Deinem Quatsch aufhören. Geboren, gestorben. Der arme Rabe. Wir steigen jetzt hier aus und ziehen das Ding durch!“
Und so stiegen wir aus, nur wenige Stunden nachdem ich am Bahnhof Gesundbrunnen… Aber was war, war jetzt egal, da stimmte ich Redermann zu.
Und so stiegen wir aus und warteten. Nichts passierte. Wir schauten auf den Eingang zu den Konsulaten afrikanischer Länder, von denen aber keines Gabun zuzuordnen war, und schauten auf den Eingangsbereich. Die Zeit verstrich, doch der Berater kam nicht.
Wir waren in Frieden gekommen, wollten das Blutvergießen beenden, und die Lewandowski-Sache, die wir, so hatte ich damals gedacht, bereits in Warschau abgeschlossen hatten, endgültig auflösen. Redermann hatte die Akte dabei, im Gegenzug verlangten wir nicht viel. Ein paar warme Worte, das Versprechen, dass Lewa auch im kommenden Jahr nicht nur alles für die Borussia geben, sondern sich darüber hinaus in einem DerSamstag!-Exklusivinterview von seinem Bayern-Traum (wieder) nicht nur verabschieden würden, sondern darüber hinaus auch die Details des Vorvertrags offenlegte sollte.
Wir hatten dafür nur die Lewandowski-Akte versprochen, die jedoch, daran bestand längst kein Zweifel mehr, große Sprengkraft hatte. Redermann wand sich zwar das Wort „Erpressung“ in den Mund zu nehmen, doch letztendlich war es genau das: Erpressung.
Ein einsames Lewandowski-Trikot ziert die Wand, doch der Berater taucht nicht auf.
Aber natürlich würde diese Geschichte ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der besten Zeitung des Landes. Doch der Berater kam nicht, und so schlichen wir enttäuscht und in Frieden, ein wenig um das Haus herum. Hinter ein paar Ästen entdeckte ich das Büro, das genauso unscheinbar wie die ersten Monate Lewandowskis in Dortmund war. Nur ein einsames Trikot zierte die Wand. Wir fotografierten es und verließen den Ort, ohne den Berater je getroffen zu haben.
Wenig später erreichte Redermann eine Nachricht. Aufgrund der Kurzfristigkeit sei es diesmal nicht möglich gewesen, aber „das mit der Akte geht klar“.
Als wir am Abend in einer Kneipe in Backnang saßen und unsere Strategie für die neue Saison durchgingen, konnten wir die Lewandowski-Nachricht schon einmal für eine kritische Phase der kommenden Spielzeit einplanen.
Eine Woche nach dem Ausflug nach Liechtenstein, nach einer ruhigen Woche, die ich teils auf der Lamafarm und teils in Berlin verbracht hatte, war ich endgültig bereit für die neue Saison.