Die kurze Wahrheit: Am Wochenende hatte ich mich der Schale nicht einmal auf 10 Meter nähern können. Alles vorher geplante, ging fürchterlich schief und zog mich in einen Abwärtsstrudel, aus dem ich mich immer noch nicht befreit hatte. So mehr ich drüber nachdachte, so bewusster wurde mir, dass es ein Abschiedswochenende war. Nicht nur für Florian Kringe, dessen Art mich am Freitag so beeindruckte hatte, sondern es war auch das Ende einer großen Zeit in Dortmund. Etwas war passiert. Und ich konnte es noch nicht einordnen.

In den letzten Tagen hatte ich überhaupt nicht mehr gesprochen. Nachdem mich der Platzsturm die Schale gekostet hatte, denn nur bei der Ehrenrunde wäre mein Plan überhaupt aufgegangen, hatte ich mich zurückgezogen und die Sprache verloren. Borussia Dortmund war Rekordmeister aller Zeiten, hatte das Projekt81 durchgezogen, von dem jetzt sogar die offiziellen Kanäle der Borussia redeten, doch in mir war etwas zerbrochen und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was genau da überhaupt zerbrochen war.

Gibt es ein Problem, und man erkennt dieses Problem, lässt sich alles lösen.Gibt es jedoch ein Problem, und man erkennt dieses Problem nicht, kann es zumindest nicht lokalisieren, so lässt es sich auch nicht lösen. Vor diesem Rätsel stand ich nun. Während am Samstag nach dem Spiel um mich herum die Party tobte, und ich ja sogar mittendrin war, endete für mich eine lange Episode meines Lebens. Natürlich ging es mir nahe, dass ich die Schale nicht hatte klauen können, doch dies war nicht ursätzlich für meine Einsamkeit. Um mich herum drehte sich die Feier immer schneller, doch ich hatte den Pausenbutton gedrückt. Es drehte sich und drehte sich und ich stand eingefroren und weit abseits im Mittelpunkt.

Ich war dann schnell aus Dortmund verschwunden, und wußte nicht, ob ich jemals wiederkommen würde. Die Zeit, hatte ich mir am Bahnhof stehend gesagt, ist abgelaufen. Diese beiden Jahren waren die intensivsten Jahre und diese beiden Jahre hatten mich am Ende so sehr ausgezehrt, dass ich keine Kraft mehr hatte. Vielleicht, wenn mein Akku wieder aufgeladen war, würde ich das anders sehen, doch in dem Moment am Dortmunder Hauptbahnhof hatte ich mit allem Dortmund betreffenden abgeschlossen. Während des Spiels noch hatte ich mich erneut in die Mannschaft verliebt, doch die damit einhergehenden Anstrengungen entzogen mir nur wenige Stunden später erneute jede Lebenskraft.

So saß ich jetzt also wieder im Soldiner Kiez, das Pokalfinale vor der Brust und nicht einmal ein lausiger Kommentar zum Samstag wollte mir gelingen. Dabei hatte das Spiel und die vermasselte Feier mit all seinen lächerlichen Nachwirkungen und Zerwürfnissen genug Anlass für einen klassischen DerSamstag!-;Kommentar geboten, doch wollte ich nicht über Platzstürme schreiben, die am Ende des Tages nur die Folge einer grauenhafte, von den TV-Stationen diktierten Planung waren, die mit der Lächerlichkeit der Schalenübergabe irgendwo hoch oben auf der West-Tribüne ihren absurden Höhepunkt fanden und mit den hysterischen Ansagen der Stadionregie nicht besser wurden. All derweilen hatten unten am Zaun Menschen gestanden, die Angst hatten, erdrückt zu werden. Der Masse der Platzstürmer und dem Mangel der offenen Fluchttore geschuldet. Auf der Ost hatten Ordner dann noch einige unverbesserliche Platzstürmer in den Schwitzkasten genommen, während hinter den Ordner rund 15.000 Leute friedlich auf dem Platz feierten. Aber wozu sollte ich mich da noch aufregen? Etwas war zerbrochen, und ich konnte nicht sagen, was das war.

Den Rest der Woche, das nahm ich mir vor, würde ich schweigend in meiner Wohnung verbringen, mich am Freitag noch einmal vor die Tür trauen. Einen letzten Realitätscheck. Dembowski und der BVB und was da überhaupt noch war. Nach dem Meisterwochenende aber stand ich jetzt gerade vor den Trümmern meiner über 30jährigen Fankarriere und ich konnte nicht einmal sagen, warum das so war. Es erschütterte mich.