Das mit dem Jahr hatte ich komplett vergessen. Vor einem Jahr war ich aufgewacht, aus einem langen Schlaf. Fortan machte ich mir Notizen zu meinen Ermittlungen. Natürlich hatte es mich bereits vorher gegeben, aber ich war nicht die öffentliche Figur, die mir jetzt immer begegnete. Ich hatte die Pforten der Wahrnehmung verschoben. Mein Scheitern zum Stilmittel erhoben, meine Flucht als Ausweg erkannt.
Bester Dinge war ich so aus dem Herzen der Republik zurückgekehrt. Wenn ich mir es auf dem Rückweg auch nicht hatte nehmen lassen, ein paar Umweltaktivisten als Nazis zu schimpfen, konnte ich vor Aufregung an wenig andere Dinge denken. Es war mir egal, ob sie an den Stadtgrenzen auf mich warteten (taten sie nicht, meine Flucht aus der Klinik war rechtlich gesehen nicht mehr als eine Entlassung auf eigene Gefahr, wie ich dem Schreiben der Klinik später noch entnehmen sollte) oder ob eben jene oben bereits erwähnten Umweltaktivisten sich mit ihren Fahrrädern in die Bahn drängelten und sogleich kommandierten.
Ein wenig war mir vor den Mails bange, doch bei der Durchsicht meines Posteingangs stellte ich fest, dass ich mich wie immer überschätzt hatte. Ein paar Glückwunschmails waren eingetroffen, die von Opa Koslowski freute mich besonders, ein paar Leser fragten nach, was denn mit den Kommentaren sei. Die kicker-Leserbriefe würden niemals an die Qualität der Kommentare reichen. Erfreulich. Doch ansonsten war da wenig, bis ich auf eine weitere Lesermail stieß.
2001 ist nicht 2012
(bonn / 10.04.2012) Der Gigantengipfel steht an. Mir ist nur leider nicht nach derlei Metaphern. Schlimm genug, dass mein FC Bayern nun in Dortmund gewinnen muss, um noch die Doppelmeisterschaft der Borussen zu verhindern. Andererseits: Wieso ist das schlimm? Der Erfolg kommt ja nicht aus der Luft. Vielleicht ist es auch der Neid, der uns Bayern nach Dortmund schielen lässt. Kein Neid, dass unsere Führung mit den Methoden der 80ern agiert. Nein, Neid darauf, dass beim FCB niemals so viel Geduld sein wird, eine Mannschaft so lange und ungestört aufzubauen. Eine Mannschaft wie sie der FCB 2001 hatte. Als es den letzten galligen bayerischen Auftritt im Ruhrpott gab. Von all dem abgesehen: Keine Sorge – die Polemik kommt schon noch. Während des Spiels. 🙂 (breitnigge / DerMittwoch!)
Ich war entsetzt. Wie hatte das passieren können? Und dann noch dieser saftlose, einlullende Ton von Breitnigge. Ich rief Redermann an, er aber ging nicht ans Telefon. Ich schrieb ihm eine Mail.
„Ey, Redermann! Was soll der Scheiß? Dat is nen Bazi!“
Doch ich erhielt keine Antwort. Ich überlegte. Am Ende hatte der Kollege Breitnigge vielleicht sogar Recht. Er hatte sich irgendwie ins Blatt gemogelt und ich las noch einmal. Ich erinnerte mich an den Freistoß aus Anstoß2. Rosicky gegen den Pfosten, in die Hände von Kahn, dahinter die Bengalos. Wie wäre die Saison verlaufen? Hätte Dede Sammer bereits ein Jahr früher als Commandant bezeichnet oder hätte es den Jubeler beim 2-1 in Hamburg nie gegeben? Es kommt immer so, wie es kommen muss.
Am Morgen wachte ich auf, fand eine Mail von Redermann. Die war lang. Mit keinem Wort ging er auf Breitnigge ein, aber was ich dort las, öffnete mein Herz.
Nach einigen grauen Tagen und einer regnerischen Nacht ohne viel Schlaf schaut heute in Dortmund die Sonne zwischen den Wolken hervor. Um es mit Worten zu sagen, die man auch in der Hauptstadt versteht: Alles glänzt – so schön neu! Es ist alles angerichtet für das Dembowski Jubiläumsspiel und ich hoffe man hat Dir, lieber Dembo in der Klinik eine ordentliche Dröhnung verschrieben. Denn ansonsten kannste Dich heute Abend bestimmt wieder einweisen lassen.
Die Stimmung im Tempel wird beim Spiel der Spiele aber auch ohne Deine Anwesenheit überkochen. Immerhin gab es einen Stimmungsappell aus der Fanszene. Was zunächst so überflüssig erschien wie eine Ladung Rouge für Uli Hoeneß, hatte dann doch einen für mich interessanten Aspekt: Die Einpeitscher vor der Südtribüne wollen sich in Oldschool-Manier auf Gesänge beschränken, die auch dem Rest des Stadions bekannt sind. Sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, aber wir wissen beide, dass es in Zeiten des modernen Fußballs viel zu oft anders läuft.
Das könnte auch eine kleine Ehrenrettung für die alte Schule sein, die zuletzt in Wolfsburg nicht gerade geglänzt hatte. Vor dem Spiel sah man den selbsternannten Rächer der Enterbten mit einer Fahne vor seinem Bus rum hampeln, anstatt sich um die Schwarzmarkthändler in seiner Umgebung zu kümmern. Und nach dem Spiel konnte man Kanten in “Alte Schule Wolfsburg” Jacken in Aktion erleben, bis der rote Saft aus den Gesichtern volltrunkener Borussen spritzte. Hoffentlich wird sich nachher die wahre Oldschool erheben und zeigen, zu was sie in der Lage ist.
Ich schwanke noch, ob ich meine Nerven weiter mit Baldriantee zu beruhigen versuche oder doch schon zu Fangetränken wechsele. Aber dann endet der Abend nur wie in Düsseldorf. Noch 11 Stunden bis zum Schowdown. Wie soll ich die bloß rum kriegen?
Mit Puls 1909 grüßt aus der Bierstadt,
Ernst
Mein Puls hingegen war einigermaßen ruhig. Ich hatte keine Sorgen mehr. Wir würden gewinnen, und wenn wir nicht gewinnen würden, so würden wir trotzdem Meister. Manchmal fühlt man diese Dinge. Ich hatte es bereits im November gewußt. Beim Langen bestellte ich noch schnell drei Punkte. Es war angerichtet!
Das wird so kommen. Zweifel ist nicht zulässig
Bitte, bitte Recht haben, lieber Dembowski!