Sie hatten mich reingelegt, aber immerhin war ich jetzt auf der Insel. Lange schon nichts mehr von Nobster G gehört. Das wollte ich ändern, und konnte es zum Glück auch. Als ich ihn anrief, war er gerade beim Training. Irgendeinen Mantel geben sie sich alle, sein Mantel bestand aus der Arbeit für die BBC. Immer war irgendwo Training, immer gab es irgendwas zu berichten und immer stand der Nobster bereits an der Seitenlinie und betrachtete das Geschehen. Diesmal war dies auf einem kleinen Platz an den ehemals weißen Klippen von Dover.
Der Verein war nicht weiter der Rede wert. Die Whites, wie sie sich nannten, kickten in einer der unterklassigen Conferences. Manchmal zuckten sie, dann standen sie an der Schwelle zum Profitum und in der dritten FA-Cup-Runde, doch es blieb immer bei einem Zucken. Nobster war das schon immer egal gewesen, es war nichtsdestotroz sein Verein und es würde sein Verein bleiben. Einmal hatte er mir davon erzählt, in seinen Augen spiegelte sich diese Liebe wieder, die sich nur dort findet, wenn man von seinem Verein redet. Es war ok, dass er auf der Insel auch noch einen Verein hatte. Ging es um den Profifußball, so schlug sein Herz schwatzgelb, und das zählte am Ende des Tages.
Nobster stand an der Werbebande, die für einen längst verschwundenen Malerbetrieb warb. Er sah gut aus. Er trug einen Trainingsanzug, Sportschuhe und eine dicke Wollmütze. Eine Weile beobachtete ich ihn, wie er regungslos an der Bande verharrte und das Training der Whites beobachtete. Irgendwann machte ich die zwei Schritte und klopfte ihm auf die Schulter.
“Ah, Dembauwski! Was machst Du hier?”
“War in der Gegend. Die Sache mit Lucas schien heiß!”
“Du bist nie in der Gegend. Wieso also heute? Lucas wird wechseln”, erwähnte er in einem Nebensatz und fuhr dann fort “Aber Lucas interessiert Dich doch nicht wirklich? Hörte, Du steckst in Schwierigkeiten. Piotr ist besorgt. Zu viel Alkohol, zu wenig Erfolge. Und dann diese Kerle!”
Wie hatte er von den Kerlen erfahren, fragte ich mich. Bis hierhin waren sie mir nur im Traum erschienen, oder hatten sie mir wirklich aufgelauert? Ich versuchte, meine Maske zu bewahren.
“Welche Kerle?”
“Die beiden Jungs aus dem Kiez. Die vor Deiner Tür stehen”
“Nie gesehen! Wer soll das sein?”
Vielleicht hatte ich etwas zu schnell geantwortet. Nobster zögerte einen Moment, richtete seinen Blick wieder aufs Spielfeld und schwieg. Von der Küste drang das Möwengeschrei zu uns rüber, vom Trainingsplatz ein paar Anweisungen des Trainers.
“Dembauwski, ich mochte Deine Melancholie. Du warst ein großer Melancholiker, keine Frage. Und Dich konnte man nicht kaufen. Du machtest nur Sachen, an die Du auch glaubtest. Das haben wir Dir immer hoch angerechnet. Du warst ein guter Ermittler, doch dann hat Dich der Alkohol geholt. Seitdem stolperst Du von Falle zu Falle. Hast keinen Antrieb mehr. Wir machen uns Sorgen!”
Jetzt war es an mir zu schweigen. Wieso sprach er von mir in der Vergangenheit? Wollten die Konstrukteure mich abberufen? Und wie war ich hier hergekommen? Hatte ich nicht einen Aufrag in London, sollte ich mich nicht um Barrios kümmern? Immerhin hatten wir den Transfer exklusiv. So hatte ich bis gerade eben noch gedacht. Doch war dem wirklich so? Wieso wußte Nobster von den Kerlen?
“Jetzt bist Du ruhig!”, fuhr er fort “Aber Dein Schweigen wird Dich nicht befreien. Und für Deine Ehre wirst Du Dir nichts kaufen können. Die Ehre ist der Strick der Gefallenen. Ihr richtet Euch an der Ehre auf und mit jeder Bewegung zieht sich die Schlinge ein Stück weiter zu. Vielleicht reicht der Zeh noch gerade an die Stuhlkante, doch lange haltet Ihr nicht durch. Ihr, die Ihr an Euer Ehre zugrunde geht. Ihr habt keinen Plan, was durchhalten überhaupt bedeutet.”
Langsam nahm das Gespräch eine unangenehme Wendung. Eigentlich war ich nur für einen kurzen Smalltalk an die Küste gekommen, doch offensichtlich steckte ein wenig mehr dahinter. Ich kramte in meiner Tasche nach Tabak, fand einen letzten Rest im Beutel und drehte mir eine Kippe. Langsam zündete ich sie an und ließ mir den Seewind um die Ohren blasen. Nicht schlecht, dachte ich, eigentlich ist es hier nicht schlecht. Hier lässt es sich aushalten. Doch Nobster holte mich aus meinen Gedanken zurück.
“Wenn Du schlecht träumst – löst Du es mit Alkohol. Gewinnt die Borussia – freust Du Dich mit Alkohol. Ärgerst Du Dich über Menschen in der Bahn – ärgest Du Dich mit Alkohol. Dembauwski, Du musst runterkommen. Während Du trinkst, spazieren Leute neben Dir her. Während Du trinkst, beobachten Dich die Leute und machen sich so ihre Gedanken. Während Du trinkst, vergisst Du Deinen Auftrag. Du musst ihn finden. Der Typ ist irre! Das an sich ist nicht wirklich schlimm, doch der Typ will etwas umstürzen. Du bist nicht ohne Grund in Berlin. Wir haben Redermann instruiert. Es ist ihm nicht leichtgefallen. Aber was macht der Herr Ermittler? Stürzt sich kopfüber in den Medienalltag der Hauptstadt. Komm mal wieder runter, mach einen Spaziergang und mach noch einen Spaziergang. Und fahr endlich mal wieder aus der Stadt raus. Du merkst doch, wie die Luft Dich hier befreit. Komm zu Dir, Dembauwski! Deine Ehre ist für den Arsch. Versuche Dich nicht an Dingen, von denen Du nichts verstehst. Der Strick ist schon eng genug.”
Immer noch fehlten mir die Worte. Ich war nach England gereist, um den nächsten PR-Coup für DerSamstag! ans Land zu ziehen und nun stand ich hier am Rande der Insel und der Nobster erklärte mir die Welt.
“Gut gesprochen, Nobster! Aber was hat das mit mir zu tun? DerSamstag! brummt und die Leute fressen mir aus den Händen.”
“Denkst Du”, unterbrach er mich schroff. Seinen Gesichtszügen war die Milde längst entglitten. Er wirkte jetzt grob und bestimmend. Er wußte, dass er mich hatte. Meine Ablenkmanöver zogen nicht mehr.
“Was soll ich denn machen?”, fragte ich.
“Finde Komaroff und denk dran, der Finger war nur eine Warnung. Beim nächsten Mal könnte es dein Finger sein. Das wäre doch schade. Auch für den Brummer, entschuldige, Dein Quatschblatt. Finde Komaroff!”
Über unseren Köpfen schwebte bereits seit einiger Zeit ein Hubschrauber, jetzt gab der Nobster ihm ein Zeichen. Das Trainingsgelände hatte sich längst geleert. Binnen Sekunden war der Hubschrauber gelandet, ein paar Momente später saß ich schon drin.
“Finde Komaroff!”, er hätte mir wenigstens sagen können, warum das von größter Dringlichkeit war. Das Quatschblatt nahm ich ihm persönlich. Langsam verschwanden in meinem Rücken die grauen Klippen von Dover.