Auch das war Fußball! Ein Ball, eine Häuserwand, ein kleiner Junge, dem das alles genügte. Früher war Götze auch so, dachte Dembowski.
Als sie die Schlagzeile brachten und wenig später auch die Ruhr Nachrichten bestätigten, war ich nicht wirklich überrascht. Piotr hatte mir zwar nicht gesagt, wann sie diese bringen werden, aber der Wortlaut stimmte, die Bilder glichen sich, es waren keine Neuigkeiten. Als sie die Schlagzeile brachten, war ich gescheitert.
Vom Schönhauser Tor war ich direkt aufgebrochen, schockiert ein paar Stunden durch die Stadt geirrt. Unfähig, meine Gedanken zu ordnen. Unfähig, an irgendwas zu denken. Die Lähmung trieb mich an den Rand der Stadt. Am Wannsee versuchte ich, das Wasser zu finden. Es wollte mir nicht gelingen, abseits des Fähranlegers fand ich kein Zugang zum Ufer. Als die Nacht über die Stadt hereinbrach, saß ich in einer Kneipe im Prenzlauer Berg und versuchte mir durch die Scheinwelt der Individualisten ein wenig Normalität ins Leben zu holen.
Ich rauchte Kette, stürzte Bier um Bier in mich hinein und langsam wichen die Lähmungserscheinungen der unglücklichen Trunkenheit des Besiegten. „Das ist das größte Ablenkungsmanöver der Geschichte“, lallte ich meine Nachbarin zu. Meine Nachbarin war jedoch weniger an Ablenkungsmanövern als an mir interessiert.
„Was machst Du eigentlich?“ Ich schwieg. „Welches Ablenkungsmanöver?“ Ich wiederholte meine Antwort. „Und wieso trinkst Du so viel?“ Die Studentin aus Rheinhessen nervte. Ich spuckte aus, zündete mir noch eine Kippe an. „Hoeneß und der ganze Scheiß!“ „Ja, Menschen müssen ihre Steuern zahlen. Aber er ist doch ein guter Mensch. Meine Freundin hat zum Beispiel mal in einem Projekt gearbeitet…“ Ich spuckte noch einmal aus, kramte einen 50€-Schein aus meiner Tasche, legte ihn auf den Tresen und verschwand.
Irgendwie musste ich es zurück in die Wollankstraße geschafft haben. Dort wo sie zur Prinzenallee wurde und der Friedhofseingang das natürliche Ende alles Lebens verkündete, dort war ich zuhause und ich konnte noch so aufgebracht, gelähmt und trunken sein, ich fand immer wieder zurück.
Als ich am nächsten Tag verkatert aufwachte, diskutierten sie immer noch diese Steuersache, die Nummer würde größer und größer und mir war klar, worauf es am Ende hinaus laufen würde. Das große Ablenkungsmanöver von 2013. Die Medien würden versuchen die Wahrheit ans Licht zu bringen, Hoeneß würde sich wehren und die Wahrheit, das konnte man sich ausmalen, würde kein gutes Licht auf Bayern und seinen Patriarchen werfen.
Ich machte mir ein Kronen auf, es half ja nichts. Erst dachte ich darüber nach, Redermann von der Schlagzeile zu erzählen. Auch er hatte sich mit dem Abgang Lewandowskis abgefunden, welche Nachrichten aber die nächsten Wochen bestimmen würden, davon wußte er nichts. Ich beschloss, ihm noch ein paar Tage zu lassen, ihm seine Freude nicht zu nehmen.
Den Tag über versuchte ich ein paar Telefonate zu führen, aber wie sollte ich es verhindern, was erwartete Piotr von mir und wie konnte ich innerhalb kürzester Zeit Dinge ungeschehen machen, die in der Zukunft und wenn ich richtig lag auch in der Vergangenheit bereits geschehen war. Als die Berater mich zum wiederholten Male abblockten, versank ich erst einmal in tiefste Depressionen. Mittlerweile war bereits der halbe Kasten leer und bis auf Savoy Grand wollte mir nichts einfallen. Ich legte die „Accident Book“ auf und wartete auf die ersten Töne.
„He realised / Hope died out in the countryside / Where you find what you need / Is the thing that you left behind“
Bei Day Too Long lag ich auf der Erde und dehnte die Worte so gut es noch ging. Es ging nicht mehr. Mit DerSamstag! hatte ich noch einen letzten Kanal, um zumindest meine letzten Worte zu verfassen. Aber bis dahin war noch Zeit.
„There is a line that’s been drawn, you have seen it before, people tie their own rope around their necks. Passing on with a kiss, there’s a lie on their lips. People learn to forgive themselves.”
Immer wieder schaute ich mir die Videos der ersten Meisterschaft dieser unfassbar großen Mannschaft an. Was war nur passiert. Wieso musste es enden? Fragen , die ich mir nie gestellt hatte. Der Traum von der Romantik, das wußte ich damals bereits, würde nicht lange halten. Das Erwachen war hart. Quellen, Quellen, Quellen. Irgendwo ließ sich immer eine Quelle auftun.
Mittlerweile war es Montag geworden, ich wachte in meinen Klamotten und Langley sang in Endlosschleife von der letzten Nacht auf Erden. Seine Stimme war getrieben von einer unfassbaren Weitsicht. Sie mochten es Melancholie nennen, ich nannte es den Schmerz eines Menschen, der zu viel gesehen, zu viel erlebt hatte. Der davon erzählte, um mit sich ins Reine zu kommen. Dessen Worte beruhigten, weil sie von den menschlichen Qualen erzählten, ohne ihnen den Schrecken zu nehmen.
Ich setzte mich an den Computer, verkatert, nicht bereit einen klaren Gedanken zu fassen. Ich würde veröffentlichen, wenn ich veröffentlichen musste. Bis dahin trug ich die Bombe in mir.
Der Götze-Transfer: Das ist Fußball! (berlin / 23.04.2013) Das ist Fußball, sagten die Dortmunder Fans vor nicht einmal zwei Wochen. Felipe Santana hatte das 3-2 erzielt, das nicht für mögliche Gehaltene klargemacht, den Einzug ins Halbfinale der Champions League klargemacht.
Das ist Fußball, sagt DerSamstag! über den Götze-Transfer. Das ist kein Fußball, sagt DerSamstag! über den Zeitpunkt. Ein paar Tage nach den Enthüllungen rund um Uli Hoeneß, und direkt in die letzten Vorbereitungen für das Halbfinal-Spiel gegen Real Madrid platzt die Bombe. Es ist ein großes Ablenkungsmanöver von jemandem, der auszog die spanischen Verhältnisse abzuschaffen und eine ausgeglichene Liga forderte, nur um wenige Tage später im Sumpf seiner eigenen Verfehlungen zu stehen. Es ist eine miese Nummer, die jenseits jeder Vorstellungskraft ist.
Das ist Fußball! Das ist die miese, dreckige Seite des Fußballs. Mit Götze will Hoeneß raus aus den Schlagzeilen. Mit Götze kommt Hoeneß raus aus den Schlagzeilen. Doch es werden nur die sportlichen Schlagzeilen sein. Innerhalb weniger Tage hat Hoeneß sich selbst demaskiert und, wie immer, hat der Boulevard ihm willig assistiert. Jetzt darf die Schlinge nicht gelockert werden.
Für Borussia Dortmund mag ein Stück Romantik wegbrechen, mit dem Götze-Transfer aber haben die Bayern endgültig ihren letzten Sympathien verspielt. Adidas, Dreyfus, Hoeneß. Die Sache ist noch lange nicht ausgestanden. Das ist die Realität! (dembowski / DerSamstag!)
Spieler kommen und gehen, Borussia bleibt bestehen!