Wenn ich mich auf den Straßen hier umschaue, ist das doch eine andere Liga. Laufen in der Nordstadt die Jungs meist Richtung Nordmarkt, oder hängen, wie Kleppo, einfach vor den Trinkhallen rum, stehen sie hier auf der Straße und saufen und verlegen einen unbehaglichen Biergeruchteppich, der sich auch über die Tram- und U-Bahn-Linien legt. Seit Tagen laufe ich hier nur noch mit meinem Walkman rum. Die aufgespritzten Lippen der Del Rey habe ich mir aus dem Radio auf ein Tape gezogen, so muss ich sie nicht sehen, kann jedoch ihre Stimme hören, während die Bilder der betrunkenen Stadt mich durch den Tag begleiten. Die Stimme hat sie ja. Sich jedoch auch schwer verunstaltet.

Immerhin, denke ich, immerhin muss ich die Trinker nur sehen und nicht hören und immerhin kann ich die Del Rey nur hören und nicht sehen. Der Walkman rettet mir das Wochenende. Ich streune durch das Scheunenviertel, schaue in die Galerien und auf die glasigen Neubauten. Renne die Rückwärtslaufenden um und beschimpfe die Radfahrer auf den Bürgersteigen. Bin also durchaus bei bester Laune. Am Hackeschen Markt stehe ich ein paar Minuten an der Ampel, mache mich breit. Bei Rot schaue ich mich um und bei Grün auf den Stadtplan, der zahlreichen Touristen den Weg versperrt. In dieser Stadt, stelle ich fest, darf ich auf Krawall gebürstet sein und anders als in der Nordstadt habe ich nichts zu befürchten. Trotz all meiner Frustration wird es mir nie gelingen, die Brutalität der Morgentrinker zu erreichen. Trotz all meiner Frustration wird es mir auch nie gelingen, die Selbstverliebtheit der iPad- und Sonnenbrillenträger zu erreichen.

War ich in der Nordstadt der bekannte Ermittler, so bin ich hier nur ein weiterer Mensch, der seinem Tag nachgeht. King in der Nordstadt, Mensch in der Großstadt. Jetzt muss ich nur noch eine Kneipe finden, eine Kneipe, die der Wirtin gefallen würde. Das wird nicht leicht. Und für die nächsten Woche haben sich sowohl Redermann als auch Amok angekündigt. Noch habe ich denen die Wahrheit verschwiegen. Die Wahrheit, die sie jedoch auch nie eingefordert haben. Sie sind viel zu sehr mit ihren Ermittlungen beschäftigt, sie blühen in meiner Abwesenheit auf, sie sind jetzt die Könige der Nordstadt. Redermann, so hat er mir geschrieben, arbeitet sich gerade an dem Aufstieg und Fall der Amas ab, Amok ist weiterhin mit Hoppenheim beschäftigt. Er hat sich ein paar Zeugen gebastelt, die bald an das Licht der Öffentlichkeit geführt werden können und dann, so ist er sich sicher, nimmt der Fall eine entscheidende Wende. “Wir haben die Schmach noch lange nicht vergessen!”, beendet er all seine Telefongespräche. Und vorher “Ach, Dembo, vielleicht kannst Du in der großen Stadt was für mich tun?”. Amok versteht das als Chance. Und ich ihn richtig. Ich denke über die beiden Jungs nach und laufe weiter durch das Scheunenviertel. Die freundlichen Damen bitten mich um meine Zeit. Die habe ich nicht. Ich muss weiter Menschen umrennen. Dafür bin ich hier.