Natürlich schob ich die Schuld auf meinen Redakteur. Der Gegenwind blies mir ins Gesicht. Sie warfen mir mangelhafte Recherche und eine übertriebene Internetbezogenheit vor. Redermann verortet meine Existenz gar ausschließlich im Internet. Dabei hatte er mich in ganz anderen Situationen erlebt. Er war es, der mich damals mit seinem Soulvan aus dem Unterwasseraquarium abholte und sich als Konstrukteur vorstellte. Er hätte es besser wissen müssen. Doch die Zeit heilte eben nicht alle Wunden.

Die Geschichte meiner kleinen Zeitung war bis hierhin nicht sonderlich ruhmreich. Durch ein paar Glücksgriffe hatten wir zwar den Reus-Transfer vermelden können, aber bereits damals lagen wir in der entscheidenden Information falsch. Barrios trug immer noch das Trikot der richtigen Borussia. Auch die Wachablösung drohte aufgrund der beeindruckenden Siegesserie der Bayern im letzten Moment zu scheitern. Hoppenheim-Coach Babbel hatte es in zwei Auswärtsspielen immerhin auf 1-13 Tore und 0 Punkte gebracht. Sein erstes Spiel coachte er natürlich an der Berliner Seitenlinie, nun hatte er mit den Hoppenheimer Spielern einen Pakt geschlossen. Sie waren der richtige Aufbaugegner und immer ein Tattoo wert.

Doch zurück zu DerSamstag! Bis auf Sticheleien hatte diese Zeitung nicht viel geleistet. Nun aber drohte mir die Geschichte um die Ohren zu fliegen. Eine Gegendarstellung war nur eine Frage der Zeit. Würde es Hoeneß mit „Ich merke es!“, Hummels mit „Das Internet ist nicht schuld!“, Ribery mit „Ich habe ihm die Hand gegeben“ oder Redermann mit „Den Ermittler gibt es gar nicht“ sein? Ich konnte es noch nicht wissen, aber doch war ich bereits jetzt zutiefst am Boden zerstört. Ein Leben lang versucht man, etwas aufzubauen. Ist es dann aufgebaut, reißt man es bei erstbester Gelegenheit mit dem Presslufthammer ein. Immer schneller, immer zerstörender.

Vielleicht sollte ich mich auf meinen Block konzentrieren, dachte ich, als ich dermaßen in Selbstzweifel versunken am Küchentisch saß. Ich breitete die Aufzeichnungen meiner gescheiterten Ermittlungsvorhaben vor mir aus. Jede Seite hatte ich fein säuberlich aus meinen Block herausgerissen und nach Ermittlung sortiert auf dem Boden ausgebreitet. Die Dokumentation des Scheiterns nahm meinen gesamten Küchenboden ein. Nicht eingerechnet waren die kleineren Ungenauigkeiten, die mich zu viel Zeit gekostet und mich dem Wahnsinn definitiv das entscheidende Stück näher gebracht hätten.

Gäbe es auf dieser Erde einen luftleeren Raum, ich hätte mich in ihn verkriechen wollen. Wer austeilt, muss noch lange nicht einstecken können. Deckte ich etwas auf, wurden mir gegenteilige Beweise zugespielt. Drohten meine Ermittlungen zu scheitern, tauchten aus dem Nichts irgendwelche obskure Gestalten auf und versorgten mich mit Informationen. Ein Spielball der Interessen. Dabei wollte ich nichts weiter als ein ruhiges Leben. Hin und wieder vielleicht ein paar Spaziergänge. Hin und wieder also die Seele baumeln lassen. Aber meine Existenz war ein beispielloses Scheitern. Allein die Tatsache, dass ich mit meinen Vermutungen meist richtig lag, konnte mich ein wenig aufbauen.

Natürlich: Auf den ersten Blick lag ich mit meinen Vermutungen falsch und erst nachdem viel Wasser die Panke hinunter geflossen war, zeigte sich das Körnchen Wahrheit. Was aber würde ich für einen Funken Hoffnung geben. Nur einmal wollte ich so sein, wie es die Umstände von mir zwingend erforderten. Irgendwann einmal hatte ich die falsche Abzweigung genommen.

Nun war ich hier angekommen, es gab kein Weg zurück. Die Realität der Massen bescherte mir Unannehmlichkeiten, sie war schlichtweg nicht mit meiner Realität vereinbar. Sie konnten mir noch so oft die Hand entgegenstrecken, ich ekelte mich vor den Bakterien der Konformität, die dieser Handschlag mit sich bringen würde. So verweigerte ich den Handschlag und kämpfte weiter meinen eigenen Kampf. Immer intensiver, von Tag zu Tag dem Wahnsinn ein Stück näher. Gäbe es ein Lexikon der gescheiterten Existenz, der Ermittler hätte sich einen Sonderkasten verdient.

Niedergeschlagen wühlte ich mich durch meine Plattensammlung. Die einzig logische Wahl in diesem Moment war das epochale „People And What They Want“ von Savoy Grand. Ich setzte die Nadel auf Spike, sah Langley alleine im Studio sitzen. Nur Langley, die Gitarre und ein von der Decke baumelndes Mikrofon. Er nahm mich in den Arm und flüsterte mir zu: „Du bist nicht allein! Es gibt ein paar Menschen da draußen, die das auch so sehen. Finde Sie und werde endlich glücklich, Dembowski!“ Aber wo sollte ich damit anfangen?