Amok hatte sich in ein Überwachungssystem (Abbildung ähnlich) in Warschau gehackt, Redermann einen neuen Soul-Van und Dembowski Durst. Die besten Voraussetzungen für ein neues Abenteuer der alten Freunde.
Gerade als ich mich wieder einmal erholt hatte, gerade als eigentlich wieder alles in Ordnung war und ich für die anstehende Lama-Prüfung büffelte. Gerade als ich mich wieder gefangen hatte und mich darauf reduzieren wollte, Woche für Woche ein weiteres Transfergerücht zu streuen und mir die Verstörungen nicht einmal mehr anzuschauen. Gerade als ich mir eine Hängematte zwischen die beiden Apfelbäume im hinteren Teil der Lama-Farm gespannt hatte und gerade als ich alles, aber auch wirklich alles über die Lama-Zucht erfahren wollte und die Bücher schon bereit lagen, rauschte ein alter VW-Van durch das mir gegenüberliegende Eingangstor der Lama-Farm und wirbelte Staub auf.
Redermann hielt sein Kopf aus dem Fenster des schwarzgelben Vans, auf den er in großen Lettern SOUL IS MY DAD geschrieben hatte! Den alten Vogel hatte ich mal wieder komplett vergessen, vollkommen zurecht, wenn ich auf seinen Bus schaute. Aus dem Fenster drang irgendeines dieser neuen Lieder, die mit Disco-Streichern unterlegt wohl an die 70er erinnern sollten, es aber eben nicht taten.
„Dembo! Spring rein! Alles weitere auf der Fahrt. Es ist dringend“, schrie er mir immer noch auf mich und meine Hängematte zusteuernd. „I have never felt so high, you got me moonwalking“ brüllte mir die Musik und „verdammt, Dembo, komm mal in die Pötte” der alte Redermann entgegen. Ich musste aufstehen, irgendwie aus meiner Hängematte kommen – bevor der Verrückte mich erwischte. Es gelang mir und Redermann gelang es den Van direkt vor mir zu stoppen, er riss die Beifahrertür auf. „Ich hab noch ein paar Sachen gefunden. Alles dabei. Steig ein.“
Die Strings flirrten und löschten meine Gedanken aus. Redermann schaute mich an, reichte mir die Hand, zog mich hoch und noch bevor ich überhaupt saß, raste er im Rückwärtsgang zurück in Richtung Tor. Von den Stallungen her schauten ein paar der Lamas reichlich verwundert in unsere Richtung, Dörte stand entgeistert auf der Veranda, schüttelte ihren Kopf und starrte uns hinterher. „Ich meld mich“, versuchte ich zu rufen, doch es ging im sich nun anschließenden Dub unter.
Redermann steuerte den Van über die kleine Brücke des Seitenarms der Oder und direkt auf die Waldstraße in Richtung Neuenhagen. Ich saß da und schwieg und Redermann furh und schwieg. Für diese Dringlichkeit, für diesen Auftritt war er mir die eine oder andere Erklärung schuldig, doch bis auf die Wörter Dub und Mali und Soul und Alter sagte er nichts. Vielleicht war er einfach durchgeknallt, vielleicht bekam ihm die Pause nicht. In London hatte er noch einigermaßen normal gewirkt. Doch seitdem musste ihm was zugestoßen sein.
Aber er schwieg, sagte nur manchmal Mali und Afrika und Dub und Soul und als wir bei Hohenwutzen die Grenze nach Polen überquerten, wusste ich es war Sommer. Irgendwas gab es im Sommer immer in Polen zu erledigen. Normalerweise befreite mich Redermann dann, diesmal aber fuhr er mich dorthin. Das – und sein Schweigen bis auf die Wörter Dub und Mali und Afrika und Soul – verwunderte mich zusehends. Beunruhigt aber war ich schon lange nicht mehr. Redermann wirkte entspannt und zeigte bald still auf die vorbeifliegenden Dörfer und Schnelllimbisse.
Einer liest Straßen und Namen und einer fährt immer den Weg, zwischen den Orten und Tagen und einer liegt hinten und schläft und irgendwann halten wir irgendwo an.
„Verfahren werden wir uns gemeinsam“ sagte ich zu mir und Redermann schaute mich an. „Was zum Teufel hast Du gesagt?“ „Nichts. An Nils gedacht, an Jason gedacht und was alles passiert ist in diesem Jahr!“ „Mali“. Redermann schwieg weiter und ich dachte an die, die gegangen waren und die, die ich vermisste. Ich dachte an die, die ich liebte und ich dachte an die, die mir egal sein sollten. Ich dachte an die, die mich nervten und an die, die mir die Welt bedeuteten. Ich dachte an die, die ich vergessen hatte und an die, die ich niemals kennen würde.
„Warum ist Soul eigentlich Dein Dad?“ frage ich Redermann während wir Debno durchquerten und immer weiter, immer schneller in Richtung Osten fuhren. Redermann schwieg. Erst als Gorzów Wielkopolski nicht mehr fern war, vielleicht noch die 15km, die auf den Straßenschildern verkündet wurden, sagte er „Geiler Van, was?“ Jetzt schwieg ich. Sein Van interessierte mich nicht. Es war Sommer, ich fuhr nach Polen und jeden Moment würde sicher aus dem Nichts Piotr auftauchen. Das war bislang immer so gewesen. Man würde mich in ein Unterwasseraquarium führen, Piotr würde seine Monologe halten, aus irgendwelchen Lautsprechern würde Enon Disco klingen, die Konstrukteure würden wieder einen Auftag haben und hinter der Panzerglasscheibe würde ein Wels hängen. Es war Sommer. Was sollte ich mich da um den Van scheren?
„Geiler Van, was? Schon gesehen, greif mal unter Deinen Sitz und drück auf den Knopf da.“ Was hatte ich zu verlieren, immerhin redete Ernst jetzt. Immerhin nicht mehr nur Dub und Mali und Soul und Afrika, sondern „drück auf den Knopf da“. Machte ich. Und langsam bewegte sich der Sitz zurück, schob sich in die Kabine, eine Tür öffnete sich und hinter dieser Tür lag das Paradies according to Redermann. „Geiler Van, was?“ schrie er nach hinten. „Schnapp Dir ein Brinker und lass Dich nach vorne rollen. Und für mich auch eins. Es geht nach Warschau, Dembo! Warschau, die City of Dreams!“
Warschau! Endlich, Warschau! Mit dem Brinker wurde Redermann zusehends gesprächiger. Amok hatte sich in das System einer Managementfirma in Warschau gehackt, erzählte Redermann. „Der liegt rum und langweilt sich. Der Mann braucht ne Aufgabe, habe ich mir gedacht und Du warst ja zu beschäftigt mit Deinen Transferbomben. Aber wir stehen für andere Dinge, Dembo. Wir sind Ermittler. Nicht Boulevardjournalisten.“ „Ja?“ „Auch Du, Dembowski! Auch Du!“ „Ja?“ „Drück auf den Knopf, hol ein paar Brinker und hör zu“ Amok hatte einen Weg gefunden, unbemerkt in das Millennium House in der Ulica Mokotowska zu gelangen und ein paar Chip-Karten angefertigt. Über die Überwachungskameras hatte er einen Safe in einem der Büroräume ausgemacht. „Und was liegt da wohl drin?“ fragte mich Redermann. Ich hatte ja keinen Plan, was noch passieren würde und so sagte ich: „Keine Ahnung“