„Wenn es nicht hell wird, ist halt November“, erklärte ich dem Typen in der U-Bahn, der sich lang und breit über diese Zumutung namens Wetter beschwerte. Mein letztes Wochenende vor meinem Einstieg ins Business. Den Begriff schnappte ich am Freitag in einem Klub auf. Ein paar Typen unterhielten sich in einer Bar voller langhaariger Bartträger über die neuesten Kampagnen, und wie sie einmal beinahe gebreakt wurden, dann aber der Radio-Plugger, wie der Bärtigste es ausdrückte, einfach nicht richtig performt hatte.

Es war mir nicht leicht gefallen, aus meinem Revier in die glamouröse Welt der Berliner Szene zu gehen, aber natürlich wollte ich an meinem ersten Tag ein wenig Insiderwissen präsentieren. Auf der Straße hatte ich mich erkundigt, und sie hatten mich in Richtung Danziger geschickt. Da, wo die Skier an der Wand stehen, hatten sie mir gesagt. Ich setzte mich an die Theke, bestelle ein Bier und schwieg. Irgendwann zog ich meinen Notizblock, tat so, als ob der Hauch der Inspiration mich berührte hatte. Sie sollten mich nicht enttarnen. Nicht vor meinem ersten Einsatz. Ich notierte die Wörter „breaken“ „pluggen“ „Feature“ „performen“ „Inti“ „Rezi“ „Gig“ „Guerilla“ „facebooken“. Aus diesem Gerüst würde ich meine ersten Tage bestreiten. Die Musikindustrie, das hatte ich nachgelesen, war leicht zu beeindrucken.

Gut gerüstet für meinen Undercover-Einsatz ließ ich mir natürlich das Wochenende nicht entgehen. Borussia gegen Fürth. Eine klare Nummer. Lewandowski war nach drei Minuten zur Stelle, das Ding war gelaufen. Ich saß alleine in einer Kneipe im Westend, wollte mal raus, neue Leute treffen. Aber niemand war da, und so starrte ich auf den Bildschirm, und den Gegenzug der Fürther. 1-1. Ich kam aus dem Lachen nicht mehr raus. Die Spieler nahmen den Gegner scheinbar genauso ernst.

Zur Halbzeit war die Geschichte durch, und die Worte Dickels drangen bis zur mir durch. „Was immer der Junge vor dem Spiel genommen hat“, rief der Held von Berlin ins Westfalenstadion „das will ich auch haben.“ Mehr als Schlaftabletten aber gab es nicht. Zumindest für die Fürther, die sich in der zweiten Halbzeit mit der 1-3 Niederlage mehr als zufrieden gab. Das Spiel hörte auf zu existieren. Es war nicht einmal mehr eine lockere Trainingseinheit, die Borussia da gegen diese Beleidigung für den Bundesliga-Fußball bot.

„Was ein Kirmestruppe! Mach ma noch ein Pils. Ich will „Alle Spiele, alle Tore“. Und die Statistiken“, forderte ich den Barkeeper auf, der gelangweilt in der Tageszeitung blätterte. „Das Du Dir dit überhaupt anschaust“ „Bin Borussia-Fan!“ „Hätte ich nicht gedacht“, antwortete der Typ und zeigte auf meinen Schal. Von Redermann ließ ich mir die Statistik rüberschicken. „Subotic 115 Pässe, Hummels 87 Pässe vs Fürth 209 Pässe. Das war das Spiel!“, lautete seine Nachricht. Und er hatte Recht.

Als ich von meinem Handy hochblickte, fluchte gerade Schweinsteiger in die Kamera.  Der Ersatz-Kapitän beschwerte sich über die harte Gangart der Nürnberger. „Muss ne ganz schöne Treterei gewesen sein“, dachte ich alleine in der Kneipe sitzend. Und schaute mir dann die Zusammenfassung an. Ich ließ mir von Redermann gleich die Foul-Statistik schicken. Nürnberg 12, Bayern 24. Im Spiel selbst erkannte ich auch nichts schwerwiegendes. Die Attacke von Gebhart wurde mit einem Platzverweis bestraft, aber nicht einmal gegen 10 Mann bekamen die Bayern Zugriff auf das Spiel. „Erstaunlich“, dachte ich „dass sie nach einem Unentschieden schon so nervös werden.“ Und daheim, in einem leichten Bierrausch, das Charlottenburger war nicht so stark, schrieb ich:

Diagnose: Borderline-Persönlichkeitsstörung
(berlin / 17.11.2012) Das erste Gegentor im sechsten Auswärtsspiel, der Vorsprung auf acht Punkte angewachsen. Eine Niederlage, ein Unentschieden nach 12 Spieltagen, der gesündeste Verein der Welt, der globalste aller Bundesliga-Player. Die Welt der Bayern könnte so schön sein. Aber der  Blick der Bayern geht nach dem 1-1 gegen Nürnberg nicht nach Frankfurt,  nicht nach Gelsenkirchen. Der Blick der Bayern richtete sich in Richtung Dortmund. War da nicht was? Der November? Ja! Der graue November. Der Vorsprung ist auf neun Punkte geschmolzen. Da kann man nervös werden. „Die können nicht anders,“ hatte Schweinsteiger gesagt und vielleicht nur oberflächlich Nürnberg gemeint. Die Bayern, der gesündeste Verein der Welt, steht am Rande der Krise. Schweinsteiger kann nicht anders. Er muss den Gegenspielern an den Kragen. Das hatte er nach dem Spiel vergessen. „Alles Trash-Talk!“, sagte der Erfinder des Trash Talks im Deutschen Pokalfinale 2012. Sie hatten unentschieden gespielt, doch sie sahen aus wie nach einer erneuten Niederlage gegen Dortmund. Doch das Spiel gegen die regionale Macht steht erst in zwei Wochen an. Ist Bayern bis dahin am Ende?

„Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein; / Langen und bangen in schwebender Pein; / Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt; / Glücklich allein ist die Seele, die lieb“

Am Dienstag gegen Valencia entscheidet sich die Saison der Bayern. Sie stehen am Scheideweg. Die Symptome treten vermehrt auf. Diagnose: Borderline-Persönlichkeitsstörung. Und Sammer hat sogar geschwiegen. Die Erkenntnis des 12.Spieltags: Für Bayern wird es ein langes, hartes Jahr! Der bayrische Patient ist wieder erkrankt. (DerSamstag! / dembowski)