Kurz vor der EM ging die DerSamstag!-Saat langsam auf. Zwar saß ich im Unterwasseraquarium, doch hatte ich immer noch Zugang zu den modernen Kommunikationsmitteln. Dem war zwar ein Kampf vorausgegangen. Am Ende aber hatte ich Piotr und Tomasz überzeugen können. DerSamstag! musste den Schein bewahren, dazu gehörten ein paar Kommentare, dazu gehörte das Reagieren auf Anfragen. Wie ich am Rande bereits mitbekommen hatte, gab es größere Unruhe in der Nationalmannschaft. Da war einmal die, wie bei jedem Turnier unter Löw, umstrittenen Nominierungspolitik. Das war aber auch die Art und Weise, wie Löw, so wie ich es aus der Ferne betrachtete, sich je nach Situation seine Argumente zurecht legte. Mal ging es um die Form, dann um Nibelungentreue, dann wieder um die größere internationale Erfahrung. Mich interessierte die Geschichte nur am Rande.

Zum Großteil war ich mit dem Kader einverstanden, und auch wenn ich es nicht gewesen wäre, es hätte schlichtweg keinen Unterschied gemacht. In dieser Liga spielte ich nicht, wollte ich nie spielen. Es gab vielleicht Unstimmigkeiten, in welcher Liga ich wirklich spielte, doch die Liga der umstrittenen Starrköpfe war es sicher nicht. Nun zeichnete sich jedoch ein paar Tage vor der EM ab, dass kein Dortmunder in die Startformation springen würde. Das erregte die Lokalblätter und ich war da natürlich ein gern gesehener Stichwortgeber. Als die Anfrage von DerWesten eintraf, hatte ich Winowski gerade vom Morski Oko erzählt. Wie Dörte und ich damals die Serpentinen hoch gegangen waren, ich ihr eine Kuss auf die Stirn gedrückt hatte. Als ich gerade erzählen wollte, was nach dem Kuss passierte, traf die Nachricht ein. „Dembowski, was sagen Sie zum Beef zwischen Dortmund und Löw?“ Ich hatte zwar keine Meinung, aber ein wenig Populismus würde der Sache nicht schaden. Die EM, das stand hier im Unterwasseraquarium ohnehin bereits fest, würde ab der Vorrunde ohne deutsche Beteiligung ablaufen. So schrieb ich zurück:

„Deutschland ist das neue England. Titelkandidat, der Boulevard liebt es. Die Löwsche Personalpolitik, ein System aus Abhängigkeiten, Gefallen, Erklärungsnöten und Selbstüberschätzung. Götze, Schmelzer, Gündogan? Geschenkt! Aber Hummels. Geht es noch???

Zum Glück würde niemand nachfragen. Denn ich hatte für diese Behauptungen keine Argumente. Mir gefiel dieser kleine Ausbruch aus der täglichen Routine. Zum Glück also stand die EM ins Haus, sonst hätte ich die Stunden mit Winowski schwer ausgehalten. Er erfühlte meinen Schmerz, machte ihn aus und schlug mir in die Fresse. Ob das der richtige Weg war? Ich hatte meine Zweifel.

Doch konnte ich diese in Angesicht des 2-Meter-Manns nicht anbringen. Der hatte mich im Griff. Und ich erzählte weiter, wie wir uns das Boot am Morski Oko gemietet hatten, Dörte weiter nur schwieg und mich, in der Mitte des Sees, verließ. Sie verschwand an einem der an der Kopfseite gelegenen Ufer. Aus der Ferne sah ich sie mit einer anderen Person, einer Freundin? Ich wusste es nicht. Als ich den Uferweg entlang rannte, war mir klar, dass Dörte verschwunden war. Aber im Unterwasseraquarium sitzend war mir keineswegs klar geworden, was damals genau passiert war. Dörte war verschwunden. Sie hatte mir dafür nie eine Erklärung geliefert.

„Beruhig Dich, Dembowski!“, sagte Winowski. Ich saß tief atmend auf dem Sofa. Winowski legte eine Platten auf. The Singing Hatchet. Die Radar Bros. Ich erinnerte mich schwach. Stand auf, trat zu Winowski an die Panzerglasscheibe. Ich schwieg. Winowski schwieg. Im Licht der Panzerglasscheibe spiegelten sich unsere Gesichter, das Ölfass trieb langsam ab. Piotr streckte seine Hand in unsere Richtung. Dort stand: “Not Dörte’s boat!” Niemand lachte.