Wieder einmal Samstag, wieder einmal soll die Friedenspfeife geraucht werden und wieder habe ich keine Lust darauf. Und trotzdem lasse ich mir die Einladung natürlich nicht entgehen. Wir treffen uns auf dem Saarlandstraßenfest, war die Ansage von Reiser und das muss man ihm lassen, er ist ein guter Location-Scout.
So sitze ich früh am Tisch vor einer dieser kleinen Bühnen, die es auf solchen Festen eben gibt. Vorne ist ein kleines Zelt aufgebaut und vor diesem Zelt tanzt ein Alleinunterhalter in bewährter Manier durch die deutsche Schlagergeschichte. Der letzte Fox ist für uns, denke ich. Über die Tische zieht eine Alkoholfahne, ich orientiere mich kurz und für einen Moment bin ich mir sicher: Jetzt ist er da. Doch er ist es nicht, ganz vorne und ganz beseelt tanzt sich ein älteres Paar den Alkohol der vergangenen Woche aus dem Leib. Immer wieder ziehen die Gerüche zu mir rüber, ich halte mich an meinem Bier fest und lausche dem Vortrag. Was für ein Vortrag. Schon habe ich vergessen, warum ich überhaupt gekommen bin. Doch dann: Die Boxen fallen aus und auch von Band geht nichts mehr. Entrüstung und Erschrecken. In allen Gesichtern. Wenn der Tanz deine Ersatzreligion ist und diese dir binnen einer Millisekunde genommen wird, kommst du naturgemäß schlecht drauf. Ich trotte mich, bevor es hier eskaliert.
Redermann hängt vorm Fleischladen rum und haut sich Fleisch in rauen Massen rein. Wenn es etwas gibt, was er nicht kann, dann sicher um Fleischläden einen Bogen machen. Das ist mir bereits im Soulvan aufgefallen. Heute aber redet er in einer Tour von seinen Jazzplatten und ich verstehe kein Wort, will aber ohnehin langsam mal mit Reiser reden, der doch bereits vor Stunden hier sein wollte. Ist er aber immer noch nicht und so geht es für mich erst einmal weiter zur großen Bühne. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei. Für Heavy Cross gibt es natürlich auch eine Frau. In meiner Beliebtheitsskala hat Heavy Cross längst die 7 Nationen Armee abgelöst. Was in den 90ern Skunk Anansie waren sind heutzutage eben The Gossip. Hier kann Frau Gefühle zeigen und mal alles rauslassen. Aus „just because you look good“ wurde „the principal of nature, it’s true but, it’s a cruel world. Oooooooh oooohh oooh”. Die heißen sicher auch Fresh Funky Music, denke ich und schmeiße meine leere Bierflasche in Richtung Bühne. ICH HALTE DAS NICHT MEHR AUS! Zurück zur Schlagerbühne. Doch von hinten tippt mir jemand auf die Schulter. „Ich habe da mal ein schönes Bild gemacht. Lass uns doch mal unterhalten!“ Fuck! Jetzt hat er mich doch wieder in der Hand, ich habe mich erpressbar gemacht. Wie komme ich jetzt aus der Nummer raus? Egal, die Uhr läuft auf 20.45 Uhr zu und da ist Sommermärchenzeit. Irgendwie gelingt es mir mit eins zwei Jägern wieder für gute Laune zu sorgen.
Wir stehen vor der großen Bühne, der großen Leinwand und schauen doch nicht hin. Reiser will auf irgendwas hinaus und Redermann will Reiser nicht zuhören und redet mir von der Seite immer wieder in meine Verwirrtheit hinein. So habe ich Reiser (links), Redermann (rechts) und Sommermärchen (vorne). Soweit ich überhaupt noch etwas mitbekomme, passiert vorne nichts und rechts geht es um Kooperationsanfragen mit hundsgemeinen Erpressungen und links um einen unglaublichen Bassisten aus den 50er Jahren. Halt so ein richtiger Bassist. Dumdidum. Während um mich herum die Welt zerbricht und die Grenzen zerfließen und nichts mehr so erscheint, wie es früher war und ich mich umschaue und auf einmal in entstellte Gesichter schaue, die zu großen Fratzen werden, die sich zu Schlangenmasken verwandeln und die immer näher an mich heranrücken. „Wenn Du das nicht…“ „und dann steht er da und macht dummdidum“ „..sie müssen mehr kämpfen…immer mehr“ und ich trinke noch ein Bier und will nur noch heim in die Erdgeschosswohnung. „Bis gleich, Kids!“ In Richtung Bühne, in Richtung Leinwand. Diesmal schmeiße ich keine Flasche, ich ziehe einfach den Stecker. Deutschland 0 Japan 0 (Spielabbruch: 85. Minute). Ganz langsam mache ich mich auf den Heimweg.